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Moe Macnair - Moe Macnair - 07.02.2024

Ich weiß nicht, wer meine Mum ist. Ich stelle mir gerne vor, dass sie eine zarte Seele hatte, weiche Hände, ein charmantes Lächeln das den Männern den Verstand raubte. Dass sie gütig war, selbstlos, dass sie das Gute in den Menschen sah und für die Schwachen einstand. Mir ist klar, dass das unwahrscheinlich ist. Sie muss gewusst haben, mit wem sie sich einließ, als sie meinen Vater kennenlernte, musste wissen, dass er seit seiner Schulzeit mit Artia Goyle verlobt war. Manchmal ertappe ich mich bei der furchtbaren Hoffnung, dass mein Vater sich genommen hat, was er wollte, um meiner Mum nicht unterstellen zu müssen, dass ihr egal war, was sie tat. Wer er war. Aber die Wahrheit ist, dass ich es niemals erfahren werde. Meine jüngsten Erinnerungen beginnen lange nach ihrem Tod und für jede Frage, die ich je über sie gestellt habe, bin ich bitter bestraft worden. Alles was ich über sie weiß, habe ich im Schutz der Nacht aus den Tagebüchern meines Vaters erfahren, aus belauschten Gesprächen zwischen ihm und seiner Ehefrau, oder aus Gerüchten, die zwischen den Zauberern auf und niederschwappen.
Ich weiß immerhin den Tag, an dem ich geboren bin, und zwar als eines von zwei Kindern. Ich war der erste und mein Bruder wird mir das nie verzeihen, obwohl es nicht irrelevanter sein könnte. Weder Val noch ich werden vermutlich jemals auch nur einen Cent des Vermögens sehen, einen Bruchteil der Anerkennung, der unseren Geschwistern einhergeht. Vielleicht nimmt mein Bruder mir auch nur übel, dass ich ihm dadurch, der Erstgeborene zu sein, die Chance genommen habe, mich noch im Mutterleib umzubringen, denn es war seine Geburt, die unsere Mutter das Leben kostete. Wäre ich das zweite Kind gewesen, hätte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Ich habe so lange versucht, nicht schlecht von ihm zu sprechen. Den Glauben an ihn zu bewahren. Aber er macht es mir nicht leicht, ihn zu lieben.
Val und mir wurde von Anfang an sehr deutlich beigebracht, dass wir in den Augen unseres Vaters nicht mehr waren als Tiere, die er aus Mitleid bei sich aufgenommen hatte. Und auch wenn er der Welt gegenüber behauptete, wir hätten reines Blut, sorgte er sehr vehement dafür, dass wir wussten, wie wenig wir in seinen Augen wert waren, weil in unseren Adern Muggelblut floss. Es gibt keine Erinnerungen jenseits dessen. Ich glaube, ich war keine drei Jahre alt, als er das erste Mal zuschlug. Ist es seltsam, dass ich mich nicht einmal mehr erinnern kann, weshalb? Da ist nur noch diese... blanke Wut vor meinem inneren Auge, ein undurchdringlicher Zorn, der in seinen Augen brannte. Die werde ich niemals vergessen. In den meisten Nächten sehe ich dieses Gesicht vor mir und weiß, dass es richtig war, zu gehen, auch wenn mich oft quält, dass ich alleine gegangen bin. Val war schon lange verloren, bevor ich ihn aufgegeben habe.

Vielleicht hat es begonnen, als Emilia zur Welt kam. Val und ich sind zwei Jahre älter, aber es kam mir oft vor, als wären wir die jüngeren. Sie hatte von Anfang an Privilegien, von denen wir nicht zu träumen gewagt hätten. Und sie war schon immer wunderschön, selbst als Kind. Sie war die geborene Erbin, obwohl das nie für sie bestimmt war.
Ich kann mich nicht an eine Zeit vor Emilia erinnern, wir konnten schließlich kaum laufen, als sie geboren wurde. Trotzdem bin ich mir sicher, dass ihre Geburt unser Leben erst zu dem machte, was es heute ist. Denn ohne sie waren Val und ich alles, was unser Vater hatte. Er hätte uns das Haus vererbt, bevor es in die Hände von Artias Familie gefallen wäre. Aber mit Emilia gab es einen neuen Notnagel. Selbst wenn das Haus dann nicht unter seinem Namen weiterleben würde, so wäre es wenigstens seine Blutlinie. Es gab keine Notwendigkeit mehr für seine Bastarde.

Mein Bruder und ich waren früher unzertrennlich, weil uns zusammenschweißte, was wir ertragen mussten. Wir waren beide Aussätzige für diese Familie. Unser Vater hat uns gemeinsam in den Keller eingesperrt, als ich nicht pünktlich zum Abendessen erschienen bin, und er hat uns beide hungrig zu Bett geschickt, weil Val Dad anstatt Sir gesagt hat. Mit Sieben haben wir verzweifelt versucht, die Scherben einer Vase zu verstecken, die mir zu Bruch gegangen war, und mein Bruder warf sich vor mich, als wir es nicht rechtzeitig schafften. Ich kann bis heute nicht begreifen, wie schnell sich dieses Blatt gewendet hat. Keine zwei Jahre später war es Val, der mich mit Gewalt zu unserem Vater zerrte, als er entdeckte, wie ich heimlich die Nase in einen Artikel von Albus Dumbledore versenkt hatte. Das war das erste Mal, dass ich allein betraft wurde. Neun Jahre lang war ich einer von zweien. Aber ab diesem Vorfall war ich allein. Ab da war ich auf mich gestellt. Val hatte begriffen, dass er seine eigene Haut retten konnte, wenn er mich verriet. Er entkam der Hand unseres Vaters nicht, aber er konnte die schlimmsten Strafen umgehen. Die Nächte im Kerker, die Tage, an denen wir hungern mussten. Ich kann es ihm nicht verübeln, nicht wirklich. Wer weiß, ob sein Weg auf mich gewartet hätte, wenn ich den Ausweg, den er gefunden hat, als erster erkannt hätte.

Ich glaube, unser siebter Geburtstag war der Anfang vom Ende. Unsere Zauberkräfte haben sich spät gezeigt, wahrscheinlich, weil wir uns dank der täglichen Misshandlung langsamer entwickelten als andere, und mit jedem Tag vermutete unser Vater mit stärkerer Überzeugung, dass er ein Paar Squibs bei sich aufgenommen hatte, und mit jedem Tag wurde sein Zorn ein wenig schlimmer. Keiner unserer Geburtstage ist je gefeiert worden, dieser Tag also genau so wenig, aber ich wusste, dass etwas anders sein würde. Das erste Anzeichen meiner Fähigkeiten, schätze ich. Es dauerte bis zum Abend, bis sich offenbarte, woher dieses mulmiges Gefühl kam, das mich heimsuchte. Val hatte seinen ersten magischen Ausbruch, als ihm Artia auf den Fluren begegnete. Meines Wissens hatte sie nichts getan, um etwas neues, unerwartetes in ihm auszulösen. Ich war nicht dabei. Ich weiß nur, was ich vorfand, als ich wie unser Vater dazustieß. Wahrscheinlich haben meine kindlichen Erinnerungen den Anblick hochgeschaukelt, aber ich erinnere mich daran, dass sie lichterloh brannte. Es dauerte 7 Tage, bis sie wieder nach Hause kam. In diesen 7 Tagen haben wir kein Tageslicht gesehen. Ich glaube, wir konnten froh sein, überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Ich ahne, dass ich vieles vergessen habe, weil meinem Selbst nichts anderes übrig blieb, um sich selbst zu schützen, aber das weiß ich noch ganz genau. Val hat 7 Tage lang geweint. Danach nie wieder. Danach war er nur noch so unendlich wütend.
Ich habe lange nicht begriffen, welche Rolle Artia in unserem Leben spielte. Sie war mein ganzes Leben lang nichts als ein bleicher Schatten, der abgemagert und auf weichen Sohlen durch die kalten Räume glitt, immer darauf bedacht, nicht dieselbe Luft atmen zu müssen wie Val und ich. Artia hatte selbst zu ihren eigenen Kindern kaum Kontakt. Ich glaube, sie ist so sehr Gefangene in diesem Haus wie ich es war, aber auf eine andere Art und Weise. Sie ist überzeugt von ihrer Aufgabe, meinem Vater zu dienen. Sie glaubt eisern an die Ideologie, die er vertritt, sieht zu ihm auf, als wäre er eine Art Prophet. Sie alle tun das, Artia, Val, unsere Geschwister. Unser Vater ist der Beweis dafür, dass ein Gewalt-Regime funktioniert. Dass Unterdrückung zu Gehorsam führt. Jetzt im Nachhinein glaube ich, dass seine Art der Grund war, weshalb sich meine magischen Fähigkeiten so belanglos, so unauffällig äußersten. Val war schon immer jemand für große Gesten, für Melodramatik. Sein Ausbruch machte unsere Leben zur Hölle, auch wenn er nichts dafür konnte. Es dauerte, bis ich begriff, dass meine Magie versuchte, es besser zu machen. Als ich nach seinem Ereignis zum ersten Mal wieder diesen Flur betrat, war alles kahl. Man hatte noch keine neuen Vorhänge ausgewählt, keinen Teppichboden neu verlegt. Und während ich dort stand und weinte, um das trauerte, was ich in meinem Bruder hatte zerbrechen spüren, wuchsen schlanke Ranken über den Steinboden unter meine Füßen. Efeu, der sich die Wände nach oben schlang. Erst nach meinem ersten auffälligen Ereignis fiel mir auf, dass sie sich schon Wochen zuvor geäußert hatte. Dunkle Räume waren in meiner Anwesenheit das kleinste Bisschen heller, die Rosenbüsche vor meinem Fenster blühten so viel zuverlässiger als alle anderen. Selbst Artia wirkte lebendiger, wenn wir nur zu zweit waren, auch wenn ich nicht wissen kann, ob das wirklich an meiner Magie lag. Sie ist zugleich so durchschaubar und undurchsichtig, so weit weg und doch so nahbar. Sie ist alles, was Val und mir als Mutter geblieben ist. Kann man mir verdenken, wie sehr ich mich als Kind nach ihr gesehnt habe?

Ich glaube, es ist ein Wunder, dass ich noch lebe. Oder Schicksal. Denn als Val sich gegen mich wandte, konnte ich nichts mehr tun, als mich zu verstecken und zu hoffen, man würde mich nicht finden. Denn wenn man mich entdeckte, wurde ich nur dafür bestraft, mich verborgen zu haben. Ich war wie ein Geist, kam nur zu Mahlzeiten, weil ich wusste, wie viel schlimmer es werden würde, wenn ich nicht auftauchte. Damals begriff ich noch nicht, dass ich Selbstmordgedanken hatte. Aber ich hätte alles getan, um meinem Leben dort zu entkommen. Ich war neben Artia der nächste Geist im Haus Macnair- als würde mein Vater verzweifelte Seelen sammeln. Ich weiß nicht mehr viel von diesen drei Jahren. Ich erinnere mich in Fetzen, Bruchstücke, an Hände, an Schmerzen, an viel Dunkelheit. An Blumen vor meinem Fenster, an Moos im Keller, an Bücher, die ich überall im Haus versteckt hielt. Ich erinnere mich an Marlowes Geburt, kurz vor unserem achten Geburtstag, aber ich glaube nicht, dass ich sie viel gesehen habe. Meine nächste wirklich klare Erinnerung ist mein erster Tag in Durmstrang.

Unser Vater wollte nicht, dass Val oder ich nach Hogwarts gingen. Er sagte, wir seien verweichlicht und die nordische Kälte, die nordische Strenge würde uns guttun. Wer weiß, wie viel davon stimmte. Es hielt uns auf jeden Fall von der englischen Elite fern, verhinderte, dass man uns zu nah betrachten konnte. Wir sahen Artia ähnlich, aber ich weiß nicht, wie gut diese Lüge sich unter ihresgleichen hätte verstecken lassen. Unser Vater ist ein kluger Mann - es wäre leichtsinnig, ihm diese Berechnung nicht zu unterstellen. Ich glaube, er hat mir damit ungewollt einen Gefallen getan. Es war das erste Mal, dass wir seiner Welt entkamen, und es war auf seine Anweisung hin.
Auf Durmstrang begriff ich zuerst gar nicht, dass die Gefahr gebannt war. Dass ich mich bewegen konnte, ohne die Hände meines Vaters zu fürchten, ohne in jedem Schatten Unheil zu erwarten. Selbst Val fand ein wenig den Weg zurück zu seinem alten Ich, und es war offensichtlich, dass er es genoss, Zeit mit mir zu verbringen. Wir waren im selben Schlafsaal und waren einander deshalb unausweichlich, wir besuchten dieselben Kurse und konnten nicht anders als in alte Muster zu verfallen, hier, wo keiner von uns etwas zu fürchten hatte. Es fühlte sich unecht an, mit ihm das Schloss zu erkunden. Zu schön um wahr zu sein. Deshalb genoss ich jede Sekunde, weil ich ahnte, dass es jeden Moment vorbei sein konnte. Hätte ich länger darüber nachgedacht, hätte mir meine Begabung wahrscheinlich damals schon auffallen können. Ich hatte nicht viele Freunde, zum einen, weil ich mich lange gar nicht erst traute, zu sprechen, und zum anderen, weil Val den Schülern Angst einjagte, mit denen ich mich gut verstand. Ich war schon immer ein Kind, das Stunden über Stunden in der Bibliothek verbrachte, sich lieber mit einem Buch im Gemeinschaftsraum verkroch anstatt mit den anderen im Garten abzuhängen oder in irgendeinem Club aktiv zu werden, geschweige denn Quidditch zu spielen. Val wollte all das, er wollte verzweifelt Teil von etwas sein, und er war beliebt, aber auch berüchtigt, denn er erkannte, dass nur wer nach unten trat wirklich nach oben kam. Ich begriff nicht, dass er für viele ein Albtraum war. Es machte mir nichts aus, einsam zu sein, solange ich ihn hatte. Solange ich dort auf dem Schloss war fühlte ich mich sicher. In den Winter- und Osterferien blieben wir auf Durmstrang und in den Sommerferien erlebten wir nichts, was wir nicht davor schon ertragen hatten. Das war es für mich wert: Sechs Wochen in der Hölle, wenn ich ein ganzes Schuljahr in Wissen ertrinken durfte, in der Bibliothek sitzen durfte anstatt mich vor meinem Vater verstecken zu müssen. Sechs Wochen Vals schlimmste Seite zu ertragen, um den Rest des Jahres das Beste in ihm sehen zu dürfen. Ich habe Freunde gefunden, auch wenn ich das erst nicht verstand. Keine handvoll und es waren lange Zeit keine engen Freundschaften, aber als ich mich in der zweiten Klasse umsah, erkannte ich, dass es Menschen gab, die Zeit mit mir verbringen wollten. Die mich gerne bei sich hatten. Die mich einluden, wenn sie etwas unternehmen wollten. Und das taten sie noch immer in der dritten, in der vierten. Das taten sie bis lange nach unserem Abschluss.

Erst im Kontakt mit anderen Kindern begriff ich wirklich, in was für einer Familie ich lebte. Oder wie wenig das, was ich hatte, mit einer echten Familien zu tun hatte. Ich weiß nicht recht, warum ich es niemandem erzählte. Angst ist eine sehr mächtige Waffe. Und die Angst davor, was mein Vater mir antun würde, wenn ich auch nur ein Wort verlieren würde, war stärker als der Glaube, dass sich irgendetwas ändern würde. Ich war überzeugt, dass mein Leben nur schlimmer würde. Aber es hat trotzdem etwas in mir verändert. Da war eine neue Art von Neugier in mir. Ich hatte nie über meine leibliche Mutter nachgedacht, weil unser Vater es oft genug gegen uns verwendet hat, dass Val und ich sie getötet haben. Zu Wissen, dass sie uns nicht mit Absicht im Stich gelassen hat, und dass es niemanden gab, den ich finden könnte, um uns zu retten, hatte ausgereicht. Aber jetzt zu erleben, wie gut manche Menschen waren? Zu hören, wie sehr manche Eltern ihre Kinder liebten? Es weckte den Drang in mir zu wissen, was für eine Art Mensch unsere Mutter war. Ich wusste, dass unser Vater Tagebücher führte, und ich war der festen Überzeugung, dass darin etwas über sie zu finden war, irgendwas. Also schlich ich mich in den Sommerferien im Schutz der Nacht in das Büro unseres Vaters und blätterte jedes einzelne Seite für Seite durch. Eine Woche lang, jede Nacht, bis ich jede Seite überflogen hatte. Ich las nicht, was darin stand, weil ich nichts wissen wollte, was mir den Verstand rauben würde. Ich suchte nur den Namen, den Artia hinter verschlossener Tür in Konversation mit unserem Vater gemurmelt hat. Ihr Name taucht nur drei Mal auf. An dem Tag, an dem ihre Affäre begonnen hat, an dem Tag, an dem sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte, und an dem Tag, an dem sie starb. Es war das einzige Mal, dass Val mich nicht verriet, obwohl er mich erwischte. Es zehrte wohl so sehr an ihm wie an mir. Ich erzählte ihm, was ich gefunden habe. Seitdem haben wir nie wieder ein Wort darüber verloren.

Mit dem Ende des vierten Schuljahres dämmerte mir, dass die Ahnungen, die ich hatte, die Träume, die Bilder, die mich heimsuchten, mehr waren als Dejavue, als Tagträume. Dass ich Gefühle hatte, die sonst keiner nachvollziehen konnte. Dass mich nicht nur Erinnerungen heimsuchten, sondern auch Bilder, die nur darauf beruhten. Ich hatte ständig Ahnungen, Kleinigkeiten wie den Drang, Türen zu öffnen oder Bücher an bestimmten Stellen aufzuschlagen. Und irgendwann habe ich den Professor für Wahrsagen darauf angesprochen. Professor Thorsson. Der Professor begriff, was passierte, und nahm uns zur Seite, Val und mich gemeinsam, weil er ahnte, dass ich meinen Bruder dabei brauchen würde. Uns wurde auch erklärt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass auch Val irgendwann dieselben Fähigkeiten zeigen würde, da sie oft familiär auftrat und besonders Zwillinge deshalb anfällig dafür waren, sie zu teilen. Damals sah ich in Vals Augen, dass er nicht wollte, was auch immer mit mir passierte. Aber ich sah auch darin, dass sich das eines Tages ändern würde.
Unser Professor schrieb einen Brief an unseren Vater, noch bevor ich ihn anflehen konnte, es nicht zu tun. Ich schätze, es lag in seiner pädagogischen Pflicht, unsere Eltern über das Ereignis zu informieren und er konnte nicht wissen, was es für mich bedeuten würde. Selbst ich wusste das nicht, und würde es erst in den Sommerferien erfahren, denn unser Vater schrieb keine Antwort.
Durmstrang hat bei vielen Magiern einen bestimmten Ruf, weil sie der dunklen Magie eine solche Wertung zuschreiben und keine muggelstämmigen Zauberer aufnehmen, aber mir gegenüber haben sie immer richtig gehandelt. Unser Lehrer für Wahrsagen, Professor Thorsson, nahm mich unter seine Fittiche und versuchte, mir dabei zu helfen, meine Fähigkeiten auszukundschaften, zu beherrschen.
Ob das der Punkt war, an dem ich Val endgültig verlor? Vielleicht. Es zeigte sich nicht bis zum Folgejahr, aber ich kann ihm nicht verübeln, dass er den Zugang zu mir verlor. Ich bin nicht unschuldig. Ich hatte nur ansatzweise verstanden, welchen Weg er eingeschlagen hatte, welcher Ruf ihm auf den Fluren wirklich vorauseilte. Er saß oft bei mir, und dann war er der Val, wie ich ihn kannte und liebte, und interessierte sich inständig dafür, was ich ihm aus meinen Stunden mit dem Professor erzählte oder in welche Abgründe ich mich auf meiner Suche nach Wissen gestürzt hatte. Vielleicht habe ich ihm nicht genug gezeigt, dass ich mich trotzdem auch für ihn interessierte, dass ich all dieses Wissen und die Bücher aufgeben würde, wenn ich gewusst hätte, dass sie dafür sorgten, dass ich ihn verlor.

Die letzten Wochen vor den Sommerferien schlief ich nicht mehr, etwas, das mir jedes Jahr aufs neue passierte, doch es war nie so schlimm wie in diesem Jahr. Das Bewusstsein, zu was ich zurückkehren würde, war stärker als jede andere Empfindung.
Die ersten Tage zurück auf dem Anwesen geschah nichts. Ich wünschte damals, es wäre mir möglich, vom Besten auszugehen. Dass es ihm einfach egal wäre. Doch er rief uns ein paar Tage nach unserer Rückkehr in sein Büro. Es war üblich, dass wir ihn selten zu Gesicht bekamen, weshalb weder Val noch ich überrascht waren, dass er nicht im Haus war, als wir dort aufschlugen, aber umso ungewöhnlicher war, dass er uns zu sich holen ließ noch bevor wir erfuhren, dass er zurück war. Unser Vater war seltsam ruhig, als wir das Büro betraten, aber wir wussten, wie unvorhersehbar sich das ändern konnte. Er fragte mich, was passiert sei, in einer Stimme, die ich so noch nie von ihm gehört hatte. Und ich wusste, dass er mir die Möglichkeit gab, zu lügen. Dass er nicht daran glauben wollte, was man ihm mitgeteilt hatte, und dass dies der Moment war, in dem er hören wollte, dass nichts davon der Wahrheit entsprach. Er betonte, wie selten echte Seher waren, und implizierte, dass ich deshalb keiner sei. Vielleicht war es ein Fehler, standhaft zu bleiben. Vielleicht hätte ich den Ausweg nutzen sollen, den er mir bot, denn meine Entscheidung brachte nicht nur mich in eine Stellung, aus der ich niemals würde zurückkehren können, sondern ich zwang meinen Bruder, genauso eine Entscheidung zu treffen. Unabsichtlich, ungewollt, aber in meiner Verzweiflung streckte ich die Hand nach ihm aus und zwang ihn, sich zwischen mir und der Hand zu entscheiden, die ihn festhielt. Ich versuchte, unserem Vater klar zu machen, dass ich diese Fähigkeit wirklich besaß und wie real diese Erlebnisse waren, von denen man ihm berichtet hatte, und ich verlangte von Val, meinen Bericht zu bestätigen. Mit Tränen in den Augen flehte ich ihn an, zu erzählen, was man uns gesagt hatte. Doch ich wusste, wie er handeln würde. Ich hatte schließlich immer und immer wieder davon geträumt. Er sagte, es hätte alles gespielt sein können. Und als unser Vater nachhakte, blieb ihm kein anderer Ausweg als eine Seite zu wählen. Val sagte, er sei überzeugt, ich hätte mir alles ausgedacht. Das Lächeln, das unser Vater darauf erwiderte, wird mich den Rest meines Lebens heimsuchen. Es war das erste und einzige Mal, dass er den Crutiatus-Fluch gegen mich verwendete. Ich denke, es war, um Val zu zeigen, dass er sich richtig entschieden hatte. Denn wer nicht auf seiner Seite stand, der stand gegen ihn. Es kann nicht länger gedauert haben als ein paar Sekunden, eine halbe Minute höchstens. Doch es hat sich angefühlt wie tausend Ewigkeiten.

Ich weiß nicht mehr viel von diesen Sommerferien. Ich habe viel gelitten, und in der restlichen Zeit habe ich mich versteckt. Es gab kein Entkommen, also habe ich es nicht versucht. Wie in Trance bin ich in den Zug zurück nach Durmstrang gestiegen. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an die ersten Wochen des Schuljahres. Aber ich erinnere mich an ein Mädchen. Malin. Sie saß im Unterricht, als ich meine Vision hatte, und sie gehörte zu den wenigen Mitschülern, die sich über die Jahre zu mir setzten, wenn ich in der Bibliothek versank. In diesem Jahr nahm sie meine Hand. Seltsam, oder nicht? Wie eines der schlimmsten Dinge, die dir jemals passieren könnten, zu einem der besten führen kann. Sie erkannte damals, dass ich kurz davor war, zu ertrinken. Wer hätte gedacht, dass ihre Nähe reichen könnte, um das zu verhindern. Sie zeigte mir erst, zu wie viel Liebe ich fähig war, dass ich überhaupt zu einer solchen Liebe fähig war - dass ich ihrer fähig war obwohl ich sie zuvor niemals so gekannt hatte. Malin blieb an meiner Seite, obwohl ich mich so leicht in mir selbst verlor und in all den Büchern, mit denen ich mich umgab. Vielleicht half, dass Val sich entschieden hatte. Dass er nie wieder an meiner Seite sein würde. Denn ohne ihn umgab mich nichts mehr, vor dem man Angst haben musste. Wir hatten aufgehört, miteinander zu sprechen, selbst im Schlafsaal. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen, was er nicht ohnehin wusste.
Professor Thorsson setzte unsere gemeinsamen Stunden fort und ich war ihm unendlich dankbar dafür. Bin ihm unendlich dankbar. Denn er half mir, ein Gefühl für meine Gabe zu entwickeln, Ahnungen und Träume lesen zu lernen, zu erkennen, wie sich Eingebungen von Gedankenspielereien unterschieden. Abends übte ich mit Malin, während sie mir von ihrem Tag erzählte und wir uns vorsichtig in den Armen hielten. Ich war glücklich. Ich war noch immer, trotz des vorangehenden Sommers, der Überzeugung, dass es ein fairer Handel war. Sechs Wochen in der Hölle für ein ganzes Schuljahr in Malins Armen.

Vielleicht gab es unserem Vater zu denken, was mit mir geschah. Vielleicht wollte er mich quälen, vielleicht versuchte er, mich an sich zu binden. In den Ferien nach der fünften Klasse rief er mich wieder eines Tages zu sich, und ich war taub vor Angst, wegen dem, was er mir im Vorjahr angetan hatte. Diesmal stand Val bereits an seiner Seite, als ich eintrat. Unser Vater sprach nicht, Val tat es. Wenn ich das innere Auge besäße, dann solle ich das Schicksal der Familie vorhersehen. Es war offensichtlich was mir geschehen würde, wenn meine Prophezeiungen sich nicht erfüllen würden. Ich prophezeite ihm, dass Emilia ihn stolz machen würde.
Im Sommer darauf lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen.
Malin hielt mich stundenlang im Arm, als wir uns im nächsten Schuljahr wiedersahen. Ich denke, sie brauchte es so sehr wie ich, denn ich kann nicht ahnen, wie es sich anfühlt zu wissen, dass die Person, die du liebst, zu einem Vater wie meinem zurückkehrt. Ob sie Angst hatte, mich nie wiederzusehen? Sie hielt noch einmal einen solchen Sommer aus. Einen Sommer, in dem ich ihr keine Briefe schrieb, aus Angst, dass man mich dabei erwischen könnte. Aus Angst, dass mein Vater mich wieder dafür bestrafen würde, dass ich mit einem Halbblut zusammen war. Schlimmer, dass ich sie liebte. Doch egal, wie ungerecht ich mir ihr gegenüber verhielt, sie blieb bei mir. Sie wartete auch im siebten Jahr wie verabredet an den Schlosstoren, bis wir uns in die Arme fallen konnten. Und sie fing an, von der Zukunft zu sprechen. Sie wollte in Stockholm eine Ausbildung machen, zur Heilerin oder zur Fluchbrecherin, und sie träumte davon, dass ich mitkäme. Mir hat selten etwas so weh getan wie ihr Blick, als ich ihr offenbarte, dass mein Vater schon lange einen Plan für mich hatte. Sie versuchte damals, mir klar zu machen, dass ich die Kraft hatte, mich von ihm loszusagen, aber ich habe ihr nicht geglaubt. Es würde noch zwei Jahre dauern, bis ich das tat.
Ich hatte nie viele Fähigkeiten jenseits meiner Gabe und meinem unendlichen Hunger für Bücher, was mein Leben sicher nicht leichter machte, aber für einen ausgezeichneten Schulabschluss sorgte. Weil ich mich unter keinen Umständen mit der Zukunft beschäftigen wollte, stürzte ich mich nur noch aggressiver in die Schularbeit und selbst Malin schaffte es kaum, mich aus der Bibliothek zu bringen. Ich vermied schon lange, Zeit in meinem Schlafsaal zu verbringen, weil das Risiko zu groß war, Val zu begegnen, aber inzwischen mied ich auch den Gemeinschaftsraum. Mein Bruder war inzwischen nichts weiter als die rechte Hand unseres Vaters und was immer ich in seiner Gegenwart tat, ob auf dem Schloss oder Zuhause, erreichte noch am selben Tag die Ohren unseres Vaters. Woher sonst wusste er von Malin, wieso sonst wurde ich jeden Sommer aufs Neue dafür bestraft. Doch es machte mir nichts, solange ich sie in Sicherheit wusste. Ich hatte in meinem Leben bereits zu viel ausgehalten, um mich davon aufhalten zu lassen, denn ich hatte begriffen, dass mein Vater immer einen Grund finden würde, mir wehzutun. Wieso sollte ich dann nicht die eine Sache behalten, die mir gut tat.

Etwas war anders, als ich nach meinem Abschluss zum Anwesen zurückkehrte. Als ob eine andere Energie in den Räumen lag, als ob die Geister des Hauses mich aus jedem Winkel beobachteten. Als ob das Anwesen nur darauf warten würde, dass etwas geschah.
Ich fing eine Ausbildung zum Gerichtsschreiber am englischen Ministerium an, weil mein Vater es so wollte. Val fing seinen Weg als Anwalt an und verbrachte unendlich viel Zeit mit unserem Vater gemeinsam hinter verschlossener Tür. Vielleicht hat er doch eines Tages die Chance, zum Erben zu werden, wer weiß. Er hätte es verdient, denn niemand arbeitet härter für die Gunst unseres Vaters. Für eine Weile habe ich mir eingeredet, es könnte funktionieren. Wenn ich den Ball flachhielt, den Kopf einzog und tat wie man mir auftrug, dann gäbe es nichts, das man gegen mich verwenden könnte. Aber natürlich war egal, was ich tat. Behielt ich meine Ahnungen für mich, wurde ich dafür bestraft, dass ich Geheimnisse hatte, wenn ich sie mitteilte dafür, dass ich ein schlechtes Omen war. Was immer ich aus den Gerichtssälen zu berichten hatte, in denen ich zum Einsatz kam, war nicht, was mein Vater hören wollte, und egal, wie sehr ich mich bemühte, es ihm recht zu machen, es war niemals genug. Es war mir nicht erlaubt, Zeit mit Marlowe oder Aziel zu verbringen, und Val mied mich wo immer er nur konnte. Ich habe mich niemals einsamer gefühlt.
Malin versuchte, mich heimlich zu treffen, doch mein Vater weiß viel und hört noch mehr. Es war uns kaum möglich, Zeit zu finden und uns zu verabreden, und wenn wir uns sahen, war ich nicht wirklich bei ihr. Rückblickend kann ich kaum noch begreifen, wie ich diese Zeit durchgestanden habe, ich war nur ein Schatten, der ständig Angst hatte, ständig auf Eierschalen ging, um es allen Recht zu machen. Jedes Mal, wenn wir uns sahen, flehte Malin mich aufs Neue an, mit ihr zu kommen. Es dauerte ein Jahr, bis ich mich von ihr retten ließ. Und oh, ihre Augen, als ich sie darum bat, mir zu helfen. Ich werde niemals wissen, ob ich sie nur geliebt habe, weil sie diese Version von mir sah und mich trotzdem wollte. Als ich den Entschluss gefasst hatte, dauerte es nicht lange. In derselben Nacht packte ich eine einzige Tasche, und anstatt am nächsten Tag zur Arbeit zu gehen, ging ich ins Ministerium, um mit einem Portschlüssel nach Stockholm zu reisen. Ich war gerade so 19. Ich dachte nicht an Konsequenzen. Ich dachte nicht daran, wie leicht ich zu finden wäre, wenn mein Vater es versuchen würde. Ich begriff erst wirklich, was ich getan hatte, als Val auftauchte. Als er mitten in der Nacht vor unserer Wohnungstür in Stockholm stand. Er brauchte keine Magie, um mir klar zu machen, dass mein Leben - nein, mein Überleben in meiner eigenen Hand lag. Schweigen oder den Tod. Das war die Wahl, vor die er mich stellte. Bis heute frage ich mich, weshalb er mich nicht zu einem unbrechlichen Schwur gezwungen hat. Aber seine Drohung hatte ja ausgereicht, oder nicht? Ich habe jahrelang geschwiegen. Erst viel später gelang es mir überhaupt anzudeuten, dass mehr hinter den verschlossenen Türen des Macnair-Anwesens lauerte, als die Leute ahnten. Nicht einmal Malin hatte ich erzählt, was mir dort angetan wurde. Welche Geheimnisse dort lauerten.

Ich kam lange bei Malin unter, selbst noch, als es zwischen uns vorbei war. Sie hatte ein kleines Apartment am Stadtrand, und wir liebten es, uns darin zu verschanzen, die Welt sein zu lassen und so zu tun, als gäbe es nichts mehr neben uns. Zum ersten Mal in 20 Jahren hatte ich das Gefühl, atmen zu können. Ich hatte noch immer Alpträume, und ich dachte jeden Tag an Val, und daran, was mit Marlowe und Aziel passieren würde, mehr als ich an mich selbst dachte. Ich fand eine Stelle als Aushilfe im Archiv des schwedischen Ministeriums, und begriff, wie viel Arbeit es mich kosten würde, herauszufinden, was es bedeutete, ein eigenes Leben zu führen. Entscheidungen zu treffen, die nicht durch ihre Konsequenzen bestimmt waren. Ich sah Malin dabei zu, wie sie ihren Weg fand, Ziele formulierte und anstrebte, und alles, woran ich denken konnte war die Welt, die ich zurückgelassen hatte. Bis ich durch Zufall Professor Thorsson wiedertraf. Er bot mir an, für ihn zu arbeiten, und einfach so befand ich mich plötzlich auf einem Weg, der sich richtig anfühlte. Die Bezahlung war furchtbar und ich konnte Malin kaum genug für die Miete beisteuern, aber ich hatte endlich, nach all den Jahren, das Gefühl, dass meine Existenz einen Wert hatte. Ich arbeitete weiter die wenigen Stunden im Archiv, und den Rest der Woche tätigte ich Recherchen für Professor Thorssons Projekte, half ihm bei der Unterrichtsvorbereitung und erledigte sonstige Besorungen, damit er sie nicht machen musste. Einmal die Woche traf ich ihn auf Durmstrang, um ihm meine Notizen vorbeizubringen, seine durchzusehen und die Aufgaben für die nächsten Tage abzuholen. Vielleicht hätte ich ewig so weitermachen können.

Malin und ich schafften 7 Jahre. Wir haben uns ein paar Monate nach meinem 23. Geburtstag getrennt, aber wir waren viel länger schon nicht mehr füreinander gemacht. Sie hatte aufgehört, in Büchern zu versinken und ich kann ihr nicht verdenken, dass sie das Leben genießen wollte. Es tat mir leid, dass ich noch nicht soweit war, also ließ ich sie gehen. Wir stellten ein Bett in das zweite Zimmer, das ohnehin vollgestopft war mit meinem Schreibtisch, meinen Büchern, meinen Schriften, und es funktionierte, bis sie jemanden traf, mit dem sie den Rest ihres Lebens vebringen wollte. Also zog sie aus und ich fand einen neuen Mitbewohner, weil ich mir die Wohnung allein nicht leisten konnte, obwohl Professor Thorsson mich schon lange an all seine Kollegen weiterempfahl, ständig Aufträge ins Haus flatterten und meine ersten eigenen Artikel in Fachzeitschriften erschienen. Es war immernoch Stockholm und ich immernoch ein mittelloser Wissenschaftler. Also gab ich das Zimmer einem magischen Tierpfleger namens Eden.
Eden und ich hätten verschiedener nicht sein können. Er war laut, viel unterwegs, und er schien allergisch dagegen, sich Sorgen zu machen. Seine Freundschaft tat mir gut. Er kannte den Jungen nicht, der so viele Jahre lang gelitten hatte. Er sah in mir nichts weiter als einen verträumten Schreiberling, der das Leben oft zu ernst nahm, und er zwang mich, diese Schale abzulegen, zumindest manchmal und wenigstens ein bisschen. Er brachte mich dazu, das Haus zu verlassen, in Bars zu gehen, und ich entdeckte eine Seite an mir, die gefährlich war, aber die mir unendlich gut gefiel. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich einfach loslassen. Spaß haben. Es tat mir leid, dass diese Seite zu spät kam für Malin, und ich ertränkte den Liebeskummer, der erst jetzt aufschwappte, in langen Nächten Seite an Seite mit Eden.

Ich weiß nicht genau, wann mir aufgefallen war, dass es nicht Malins Weiblichkeit war, die mich betörte, sondern ihre Persönlichkeit, die mich alles andere atemberaubend finden ließ. Ich liebte ihren Körper, aber ich liebte zuerst den Menschen, der sich dahinter versteckte - Und jetzt, wo ich lernte, für mich selbst zu leben, lernte ich auch, dass ich dasselbe für Eden empfand.
Als ich das begriff, zog ich beinahe die Reißleine. Ich sah die Mädchen, die bei uns ein und ausgingen, und ich wusste, dass er meine Gefühle niemals auf dieselbe Weise erwidern könnte. Dass sowas nicht gern gesehen war in der Welt. Doch er war die einzige Person, mit der ich wirklich reden konnte, also sprach ich es trotzdem an. Nicht spezifisch genug, um seinen Namen zu nennen, aber es tat gut, mit jemandem darüber zu sprechen, wie es mir erging. Was ich über mich selbst herausfand. Ich bin mir nicht sicher, ob er vollständig begriff, aber er gab sich größte Mühe. Schweden ist progressiver als England, und auch in den magischen Kreisen war das zu spüren, aber auch dort war der Druck hoch. Das wollte ich nicht, und ich hatte keinen Drang, mich zu identifizieren und in irgendwelche Schubladen zu passen, und Eden gab mir das Verständnis, das ich brauchte. Ich weiß nicht, ob ich ohne seine Untersützung damit klargekommen wäre, ob ich ohne ihn Arden kennengelernt hätte, oder später, als ich mit mir selbst mehr im Reinen war, Noa. Ich wünsche oft, es wäre mir möglich, meinem jüngeren Ich zu erzählen, was für ein Leben auf ihn wartet. Er ist noch so gefangen in all dem, was ihn so geprägt hat, bis heute, und das obwohl ihm so oft bewiesen wurde, wie leicht es ist, ihn zu lieben. Wie leicht es ihm fällt, zu lieben. Und wie schwer, sich zu öffnen.

Nicht alles an meiner Zeit mit Eden war gut. Er hatte es mir zu leicht gemacht, mich zu verlieren. Hatte mir die falschen Mittel dafür an die Hand gegeben. Es hatte sich schleichend angebahnt. Als ich abhängig war, da war es schon zu spät. Ich war 26 als ich das begriff. Ich wollte eine Karriere anfangen, weil ich endlich begriffen hatte, worauf meine Arbeit hinauszulaufen schien. Ich wollte ein Mann werden, der einen Weg zu seinen Geschwistern zurückfinden könnte, irgendwann. Der sie aus den Klauen unseres Vaters würde befreien können. Ich musste Eden und diese Wohnung hinter mir lassen, die immernoch in jeder Ecke Malin Namen schrie. Die nächsten zwei Jahre wohnte ich in einem kleinen Zimmer über einem kleinen magischen Café im magischen Viertel Stockholm. Es war schön dort, aber ich wusste, dass es nicht von Dauer wäre.

Meine Ahnungen wurden mit den Jahren stärker, die Gabe mächtiger. Vor allem, als ich aufhörte, mich zu betäuben, wurden sie manchmal übermächtig. Ich habe viel mit Professor Thorsson darüber gesprochen, und er war es letztendlich, der mir dazu riet, mit einem Verlag in Kontakt zu treten. Der mich drängte, zu veröffentlichen. Und ich denke, ihm habe ich zu verdanken, dass Albus Dumbledore mich fand. Er stellte mich ihm vor, als ich ihn eines Tages in seinem Büro besuchte. Erklärte, dass Dumbledore mir eine Stelle anzubieten habe, auf Hogwarts. Und in dem Moment zögerte ich nicht. Ich hatte nie aufgehört, darüber nachzudenken, zurückzukehren. Weil ich alles ertragen würde, um Val wieder in meiner Nähe zu wissen.

Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Dumbledore mich mit Absicht ausfindig gemacht hatte. Den verschwundenen Macnair, von dem selbst Marlowe nichts wusste, die längst selber im Orden war. Dass Thorsson ihm von den Warnungen berichtet hatte, die ich immer wieder aussprach, weil ich spüren kann, wie tief der Abgrund ist, in den die Welt zu sinken droht. Dumbledore glaubte, jemand mit meinen Fähigkeiten könnte eine Bereicherung für den Orden des Phönix sein. Ich weiß, dass er Recht hat. Aber mehr kann ich nicht tun. Ich bin kein Kämpfer, ich will nicht Teil des Ordens sein, nicht wirklich. ich will nur versuchen, gutes zu tun. Deshalb habe ich zugestimmt, als er mich kurz vor tatsächlichem Antritt meiner Stelle einweihte. Ich glaube, ich hatte keine andere Wahl. Das scheint mir der Weg, den ich gehen muss um der Mensch zu werden, der ich sein will. Ich bin ein guter Magier, ein brillianter, in vielerlei Hinsicht. Aber ich bin kein Kämpfer. Ich vermeide das Unglück, wo ich nur kann, und umgehe mein eigenes Leid so gekonnt, dass in mir eine mächtige Dunkelheit schlummert, die all das Übel verbirgt. Das Unheil des drohenden Krieges zerrt an allem, das ich so mühevoll vor mir selbst verberge. Meine Geschwister fehlen mir mehr als alles andere.

Und bisher habe ich immernoch das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr stand Marlowe vor meiner Tür. Sie hatte von Dumbledore erfahren, dass ich zurück bin. Bei einem Ordenstreffen. Und sie hat mich um Entschuldigung gebeten. Als ob nicht ich derjenige bin, der um ihre Vergebung hätte flehen müssen. Wir haben uns lang im Arm gehalten. Sie hat sich verändert. So sehr verändert. Aber ich schätze, das habe ich auch. Inzwischen besucht sie mich viel, wenn sie Zeit hat. Und wir trinken Tee und sie erzählt mir von ihrem Tag. Wie Geschwister. Wie Freunde. Sie ist die einzige, der es so leicht fiel, mir zu verzeihen.

Aziel ist... skeptisch. Verständlicherweise. Mit so viel Recht. Wir haben uns erst einmal gesehen. Er ist zu so einem starken, jungen Mann geworden. Aber die Hand unseres Vaters hält ihn so fest umschlungen wie... -

Val. Ich habe ihn wieder. Den einzigen Menschen, für den ich alles aufgeben würde. Für den ich mich selbst verraten würde. Wir sind nicht mehr die, die wir einmal waren. Und wir haben einen langen Weg vor uns. Der Moment, in dem sich unsere Blicke gekreuzt haben, ganz zufällig, auf den Straßen Londons, da ist unser Band mit einer Wucht zurückgekehrt, die mich beinahe lahmgelegt hat. Und ihm muss es genauso ergangen sein. Weil er nur ein paar Tage später vor meiner Tür stand. Um mich zu beschimpfen, um mir zu drohen, um mir Angst zu machen. Stattdessen haben wir uns betrunken. Gestritten. Und er hat mich stehen lassen. Und dann haben wir uns ein zweites Mal getroffen. Und ein drittes Mal. Weil ich meine Ahnungen nicht vor ihm verbergen will. Weil ich den Tod in unserer Zukunft sehe. Weil ich spüre, dass sie einer nach dem anderen untergehen werden, und ich Val anflehen wollte, sich von Walden fernzuhalten, der mir in der Glaskugel immer und immer und immer wieder erscheint, damit er meinen Bruder nicht mit in das reißt, was ihm droht. Ich konnte es Dumbledore nicht sagen. Oder Marlowe. Weil nur die Chance, dass Val beteiligt sein könnte, mir den Magen umdreht. Er und ich waren uns einig. Es wird der Tod unseres Vaters sein ehe wir zulassen, dass dem jeweils anderen etwas passiert. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis wir konkreter werden müssen.

Ich habe eine solche Angst. Aber nicht um mein eigenes Leben. Um Vals. Weil ich spüren kann, wie dunkel sein Leben geworden ist. Und davor, Morpheus wieder in die Hände zu fallen. Weil der Tod nicht das schlimmste ist, das er mir antun könnte.