Fenrir Greyback - Druckversion +- Make Me Run (https://makemerun.de) +-- Forum: Auftakt (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=1) +--- Forum: Verzeichnis (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=7) +---- Forum: Steckbriefe (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=48) +---- Thema: Fenrir Greyback (/showthread.php?tid=2130) |
Fenrir Greyback - Fenrir Greyback - 10.03.2024 Im namenlosen Nirgendwo in Schottland geboren, lag Fenrir Greyback schon von Anfang an ein Leben fernab der Zivilisation im Blut. Das Blut wurde dem Säugling in einem Bergbach vom Körper geschrubbt und die ersten Atemzüge die er nahm, waren die von unverbrauchter, frischer Landluft. Die Natur begrüßte ihn und er blieb bis in die Gegenwart fest mit ihr verwurzelt und ihr nie lange fern. Städte - vor allem Großstädte - hatten schon damals wenig Reiz für ihn, womöglich, weil ihm einfach die Erfahrung damit fehlte, um ihre Vorteile wirklich kennenzulernen. Er war das erste Kind von einem Paar, das ungebunden durch das Land reiste und dem fahrenden Volk angehörte, wenngleich sie die meiste Zeit unter sich blieben und nicht Teil einer großen Karawane waren. Hauptsächlich lag es daran, dass Fenrirs Vater ein - wie man es häufig nett umschrieb - “schwieriger Geselle” war, der dem Alkohol frönte, zu Gewaltausbrüchen neigte und in diesen Phasen weder Frau, noch Kind (später: Kinder) gut behandelte. Wann immer sie sich einer Gruppe anschlossen, ging es selten auf Dauer gut und Vidars aggressives, provokantes Verhalten sorgte dafür, dass sie früher oder später nicht länger geduldet waren. Fenrir blieb nicht das letzte Kind des Paares, hatte aber als Erstgeborener und Sohn eine Sonderstellung - wenngleich die für den Jungen nicht nur Segen, sondern auch immer häufiger Fluch wurde. Wenn Vidar zur Flasche griff, kam es zu Übergriffen; seine Mutter schritt nicht ein, sondern sah einfach weg. Obwohl sie ihn in solchen Situationen im Stich ließ, konnte er sie nicht verachten, denn sie war danach für ihn da und so wuchs er in dem Glauben auf, dass sie hilflos war und es gar nicht verhindern konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. In den darauffolgenden Jahren folgten weitere Kinder. Die Familie wuchs, blieb aber weiterhin unter sich. Soziale Kontakte wurden vor allem mit Muggeln gepflegt, mit denen verhandelt wurde und Geschäfte betrieben wurden. Fleisch und Felle wurden gewinnbringend weiterverkauft, im Sommer konnten gesammelte Beeren unter die Leute gebracht werden und die Frauen wurden unter anderem mit Hölzern, getrockneten Eichelkappen und Nüssen kreativ, um dekorative Artikel oder Schmuck herzustellen und ebenfalls zu verkaufen. Die Muggel ließen sich dafür begeistern, schätzten alles, was eindeutige Handarbeit und ein Unikat war. Die herumziehende Familie kam ihnen zwar sonderbar vor, aber dadurch, dass Fenrirs Mutter Schottin und somit eine Einheimische war, begegnete man ihnen deutlich weniger feindselig als anderen fahrenden Völkern, die aus dem osteuropäischen Raum kamen. Fenrirs erster Kontakt zu den Muggeln war dadurch von Anfang an neutral bis positiv. Im Jahr 1946 erhielt Vidar - mit reichlich Verspätung - Nachricht über den kritischen Zustand seines Vaters in Dänemark. Die Familie entschied sich, die Zelte abzubauen und in die Heimat von Fenrirs Vater zurückzukehren, wenngleich vor allem Fenrirs Mutter davon wenig begeistert war. Sie war eine Frau, die ihre Heimat sehr liebte und nicht von ihr getrennt werden musste, hatte aber hier keine Chance, sich durchzusetzen, weil Vidar ein lukratives Erbe witterte. Mittels illegal erworbenen Portschlüssel - Vidar hatte den Mann mit dem Portschlüssel in London ausfindig gemacht, ohne der Familie zu genaue Details zu nennen, aber ein kleines Kistchen mit Familienerbstücken und Schmuckstücken fehlte im Nachgang im Besitz der Familie -brach die Familie auf und ließ das aufgebaute Leben und die gepflegten Kontakte zurück. Vidars Vater war bereits mehrere Tage tot, als die Familie eintraf, was zu Spannungen unter der restlichen Familie in Dänemark führte. Vor allem, als sich Vidar offensichtlich mit deutlich mehr Interesse nach dem Testament erkundigte als nach den letzten Tagen seines Vaters. Es kam zum Zerwürfnis und nur wenige Tage nach der Beerdigung zog Fenrirs Familie weiter - die Taschen gefüllt mit Wertgegenständen (u. a. dem Zauberstab von Fenrirs Großvater, der später an ihn gehen sollte). Sehr zum Ärgernis seiner Mutter kehrten sie nicht nach Schottland zurück, denn sein Vater sah es als “Zeichen der Götter”, dass sie sie von dort weggeholt hatten, weil womöglich anderswo bessere Wälder, fettere Beute und wichtigere Erfahrungen für die Kinder warteten. Die Familie wagte daher einen Neustart in Skandinavien, was die Probleme zwischen Fenrirs Eltern vertiefte. Die Kinder rutschten näher zusammen, wurden eine eingeschworene Gruppe, konnten aber nicht verhindern, dass eines von ihnen immer wieder des nachts vom Vater gepackt wurde. 1948 kam Fenrir nach Durmstrang, auch wenn er das selbst nicht wollte, weil er sich um seine Mutter und die jüngeren Geschwister sorgte. Vidar bestand darauf, womöglich nur, weil er dann für einen längeren Zeitraum ein Maul weniger zu stopfen hatte. Die Schule war ein Kulturschock für den 11-Jährigen, der zum ersten Mal in seinem Leben in einem festen Gebäude aus Stein schlief und der durch unzählige Korridore und Etagen laufen musste, bis er an die Natur herankommen konnte. Fenrir mangelte es an bestimmten Manieren, wodurch er schnell gefundenes Futter für Sticheleien von reinblütigen Mitschülern war, die ihn gerne als “den Wilden” bezeichneten. Das lag vor allem daran, dass Fenrir jede freie Minute außerhalb der Einrichtung war, häufig verdreckt zurückkehrte und anfangs einen starken Akzent - eine wilde Mischung aus Dänisch und Gälisch, beides von den Eltern nachgeahmt und zu einem kuriosen Ergebnis vermischt - hatte, der es selbst englischsprachigen Mitschülern schwer machte, ihn auf Anhieb zu verstehen. Doch so sehr man ihn auch trat, verfluchte oder verspottete: Greyback ließ sich nicht unterkriegen. Das mussten schließlich auch seine Mitschüler anerkennen. Aus “dem Wilden” wurde ein “zäher Bursche”, den viele zwar nicht als engen Freund wollten, aber duldeten und teilweise auch respektierten. Fenrir zeichnete sich als mittelmäßiger Schüler aus, der nach seinem plötzlichen Weggang keine Lücke hinterlassen hat und auch seine Professoren haben seinen Namen danach schnell vergessen. Er stach nicht mit besonderen Begabungen hervor, höchstens mit Wissbegierde in dunkler Magie und einem Händchen für magische Geschöpfe, konnte aber nicht mit den Kindern aus besseren Häusern und Familien mithalten und blieb in ihrem Schatten. In den Ferien kehrte Fenrir stets in die verlassenen Winkel der Wildnis zurück, die seine Familie gerade als Heimat auserkoren hatten. Die Familie war nach wie vor in Skandinavien, obwohl sich nichts von Vidars Hoffnungen hinsichtlich des Neuanfangs erfüllt hatten. Durch Durmstrang veränderte sich Fenrir, er wurde gebildeter und im Vergleich zu seinem Vater und den Geschwistern auch feiner. Er ging aufrechter, sprach deutlicher, wurde kritischer und begann Dinge zu hinterfragen. Sein Vater wollte ihm die “Eitelkeit”, wie er es nannte, austreiben. Anfangs mit Schlägen, dann setzte er den Jungen alleine aus. Eine Nacht ohne Dach über dem Kopf würde ihn daran erinnern, wohin er gehörte und woher er kam, entschied Vidar und besiegelte damit das Schicksal seines Sohnes. Denn Vidar - wieder einmal betrunken - hatte den Zeitpunkt des Vollmondes verschätzt und ließ seinen Erstgeborenen ausgerechnet in einer solchen Nacht alleine und ungeschützt in der Wildnis. Als Fenrir seine Situation erkannte, versuchte er sich zu verstecken und suchte nach Stunden des Herumirrens nach einem Unterschlupf. Als er eine abgelegene Höhle fand, war er anfangs erleichtert über seinen Fund, aber diese Freude schlug schnell in Panik um, als er feststellte, dass ein Lager in der Höhle aufgeschlagen worden war und das kleine Lagerfeuer, das dort gebrannt hatte, noch immer glühte. Fenrir verließ diese Höhle in dieser Nacht nicht mehr und alles, was beim Versuch, sie zu verlassen, geschah, war in einem Nebel aus Schmerz und Fieber verschwunden. Der Werwolf, der ihn angegriffen hatte und als Mensch sein Lager in der Höhle aufgeschlagen hatte, stellte sich als Rumäne heraus, der aus seiner Heimat geflohen war, nachdem er dort - angeblich in purer Absicht - infiziert worden war. Der Rumäne versorgte die Wunden des jungen Fenrir, pflegte ihn und kümmerte sich bis zum nächsten Vollmond um ihn. In dieser Zeit pflanzte er dem halbtoten Kind manische, irre Geschichten über eine “Herrschaft der Werwölfe” ein, dass sie mit der Infizierung gesegnet worden seien und ihre Kräfte denen von Zauberer und Hexen weit voraus seien. Fenrir glaubte ihm, baute trotz des Angriffs Vertrauen zu dem Rumänen auf und musste mit Bitterkeit feststellen, dass dieser Fremde sich rührender um ihn im Krankenlager kümmerte, als sein leiblicher Vater es in all den Jahren je getan hatte. Er vertraute sich dem Rumänen an, dessen Namen er nie erfahren hatte, weil er ihn nicht offenbaren wollte. Der Rumäne teilte ihm mit, dass die Zeiten vorbei seien, in denen er Angst vor seinem Vater haben und sich ihm unterwerfen müsse. Vidar suchte in den Wochen unerbittlich nach seinem ältesten Sohn - oder nach seinem Leichnam, um ihn nach Hause zu bringen, wo seine Tat die gesamte Familie gegen ihn aufgebracht hatte. Sein Alkoholkonsum war aus schlechtem Gewissen gestiegen; wichtiges Geld der Familie gab er auf Märkten für selbstgebrannten Schnaps aus, um die Situation zu ertragen. Hatte er sein Kind wirklich auf dem Gewissen? Es war der nächste Vollmond, den Vidar sich mit einem Muggel-Gewehr erneut auf den Weg machte, bestimmte Gebiete zu durchqueren, in der Hoffnung, Fenrir zu finden - und das tat er auch. Gleich zwei Werwölfe warteten auf ihn und während der Jüngere sich, weiterhin geschwächt, anfangs im Hintergrund hielt, griff auch er an, nachdem eine Kugel den Schädel des angreifenden Rumänen erwischte und sich mit einem Schlag die angestauten Aggressionen von einem Jahrzehnt Wut, Ekel und Angst entluden. Vidar kehrte am nächsten Morgen nicht zum Wohnwagen der Familie zurück, dafür Fenrir, einen Siegelring des Rumänen in der Hosentasche als letztes Erinnerungsstück an ihn. Fenrirs Mutter Bonnie erkannte sofort, was er war und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst vor ihrem Sohn. Gleichzeitig sah sie aber auch ihre Chance, zurück in die Heimat zu kehren, jetzt wo Vidar weg war. Offiziell verschwunden - darauf hatten sich Mutter und Sohn stillschweigend geeinigt und die jüngeren Geschwister glaubten es, auch wenn Hati schon anfangs das Gefühl hatte, dass Fenrirs Rückkehr und das Verschwinden ihres Vaters zusammenhängen musste. Es dauerte ein paar Jahre und weitere Verluste, bis sie die Augen nicht länger vor der Wahrheit verschloss und die Puzzleteile zusammenfügte - und damit ein Monster als andere Seite ihres Bruders erkannte. Auch die jüngeren Geschwister wurden irgendwann in sein Geheimnis eingeweiht, aber er verkaufte es ihnen allen als Chance, dass er so besser auf sie aufpassen könnte und sie vor nichts mehr Angst haben müssten. Die Rückkehr nach Durmstrang war unmöglich, Fenrirs Mutter Bonnie versuchte es nicht einmal, sondern kehrte überstürzt mit ihren Kindern zurück nach Schottland. Die Infizierung ihres Sohnes sah sie als Krankheit, wollte sie nicht wahrhaben und versuchte sie zu verdrängen und sich einzureden, dass eine Rückkehr in die Heimat ihm helfen würde. Als würde man nur eine hartnäckige Lungenkrankheit mit frischer Bergluft kurieren müssen und alles war wieder gut. Aber diese Krankheit war anders und sie machte auch etwas mit Fenrir als Mensch, der noch immer von den Worten des Rumänen beflügelt war: dass er jetzt stärker und besser war. Seine Mutter schloss sich einer Gruppe vom fahrenden Volk an, vor denen sie Fenrirs Zustand fast zwei Jahre lang geheim halten konnten, weil er “zufällig” immer dann mehrere Tage alleine jagen ging, wenn der Vollmond nahte. Vermutlich hätte diese Taktik das Geheimnis noch länger gewahrt, wenn Bonnie sich nicht eines Tages ihrem neuen Partner anvertraut hätte, der auf die Idee kam, Fenrir damit zu erpressen. Ein fataler Fehler. Den nächsten Vollmond nutzte der Junge, um seinen Stiefvater zu töten. Er war sein Ziel, aber wie so häufig geschieht der Angriff eines Werwolfs nie ohne zahlreiche Kollateralschäden. Fenrir hatte keine Möglichkeit, mit ihm alleine zu sein - etwas, das Jahre später zu einer Art Vorliebe wurde, wenn er sich mit gezielt ausgewählten Opfern einsperren ließ - also hielt er sich in der Nacht des Vollmonds lediglich in der Nähe auf. Er wartete. Lauerte. Und gab schließlich dem Werwolf die Zügel in die Hand, der in den Angriff überging und dem Geruch der Menschen folgte, um zuzuschlagen. Eine Nacht, die blutig endete: Greyback tötete seinen Stiefvater, aber mit ihm auch weitere Menschen aus der Karawane, dienicht rechtzeitig die Flucht ergreifen konnten. Seine Mutter war ebenfalls darunter; zur falschen Zeit am falschen Ort. Fenrir begriff nicht einmal, wie gefährlich seine Angriffe auch für die Menschen werden konnte, die er nie gezielt ins Visier nahm. Seine Geschwister hätten in dieser Nacht auch ums Leben können. Etwas, das Hati wohl auch begriff, auch wenn sie alle rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte; die unter Schock stehende Schwester sagte immerzu nur Fenrirs Namen und gab damit den Überlebenden, die auf der Suche nach einem Schuldigen waren, den Hinweis, den sie benötigten hatten, um nach Monaten eins und eins zusammenzuzählen. Sie sträubte sich auch anfangs, mit ihm zu gehen, als er Tage später heimlich zurückkehrte, um seine Geschwister mitzunehmen. Fenrir tischte ihr und den Kleinen Lügen auf - grausame, widerliche Lügen rund um ihre Mutter, um damit vor ihnen zu rechtfertigen, dass ihr Tod etwas Gutes für sie war und damit Schlimmeres abgewendet wurde. Er habe nur so gehandelt, um sie zu schützen, redete er ihnen ein und die kleinen Geschwister glaubten ihm. Hati tat es auch, wenn womöglich mehr aus Angst statt echtem Vertrauen. Fenrir, gerade einmal 16 Jahre alt, bestand darauf, dass sie ihn “Vater” nannten - er war jetzt alles, was sie noch hatten und der Älteste. Derjenige, der den Ton angab und alles in seiner Macht stehende tat, um sie zu schützen. Er war der Alpha. Die Geschwister zogen nun wieder alleine mit Wohnwagen und Zelten durch das Land und verkauften alles, was sie im Wald zu Geld machen konnten. Blieben sie irgendwo für mehrere Wochen, halfen Hati und Fenrir häufig in den naheliegenden Dörfern in Haushalten oder auf Bauernhöfen. Der Junge war groß und kräftig, um mitanzupacken und das Mädchen putzte, wusch und schrubbte, ohne sich auch nur einmal zu beklagen. Von den Vollmond-Nächten erholte sich Fenrir immer schneller und besser; er ging Hand in Hand mit der Bestie in seiner Brust und sie beflügelte seine Genesung. Fenrir war mittlerweile zu einem attraktiven jungen Mann herangewachsen, der schon zuvor auf ihren Reisen die Aufmerksamkeit der einheimischen Mädchen geweckt hatte. Selbst wenn sie sich nicht immer auf ihn einlassen wollten, wusste er, was er sagen oder tun musste, damit sie sich doch seinem Willen beugten. Je jünger sie waren, umso leichter ließen sie sich von ihm beeinflussen. Eines der Mädchen schwängerte er schließlich, was ein wahres Familiendrama und einen Skandal im Dorf auslöste. Die Greyback-Kinder wurden fortgejagt und Fenrir wäre beinahe einem Gewehr zum Opfer gefallen, als der Vater des Mädchens ihn für die Entehrung seiner Tochter töten wollte. Das schwangere Mädchen selbst wurde in eine andere Ortschaft zu einem Hof geschickt, wo es bis zur eigenen Niederkunft als Kinderfrau arbeiten sollte, erst dann wollte die Familie über eine potenzielle Rückkehr nachdenken. Doch das Mädchen kam nie zurück. Der Gedanke, dass dort draußen sein Kind war, ließ ihn nicht los. Fenrir machte sich auf die Suche und als er sie fand, wartete er auf den richtigen Zeitpunkt, um das Kind zu sich zu holen. Da er Hatis Hilfe dazu benötigte, um das Neugeborene sicher nach Hause zu bringen, brauchte es eine sorgfältige Planung. Es sprach sich schnell herum, dass sich ein Mann im Dorf herumtrieb und als an aufeinanderfolgenden Vollmonden die dort lebenden Hexen und Zauberer auch einen Werwolf in der Nähe des Hofes sahen, fanden sie im Gespräch mit der dort ansässigen Familie heraus, wie die verschiedenen Beobachtungen zusammenpassten. Sie versicherten den Muggeln ihre Unterstützung, ohne sich als magisches Volk zu offenbaren. Fenrir jedoch roch in den Vollmonden die plötzliche Magie in der Luft und zog sich zurück. Er wartete. Wartete, bis sie sich sicher fühlten und glaubten, er wäre weitergezogen und hätte aufgegeben. Erst dann tötete er alle, die sich ihm in den Weg stellten - Muggel wie Zauberer. Die Kindsmutter starb und Hati rettete das Baby aus dem Massaker. Im selben Jahr entschloss sich Fenrir, dass es an der Zeit war, seine Familie zu stärken. Stärke verband er mittlerweile nur noch mit seiner Werwolf-Seite. Aus diesem Grund entschied er sich, die beiden jüngeren Geschwister zu verwandeln. Hati wurde vorerst ausgeklammert - sie sollte sich um Greybacks Kind, ein Mädchen, das er Livia taufte, kümmern und sie auch in den Vollmondnächten versorgen. Hatis Verwandlung sollte in ein paar Monaten oder Jahren folgen, versprach er, doch es blieb ein leeres Versprechen. Fenrir zog seinen Plan durch und verwundete die jüngeren Geschwister - junge Teenager, durch das Leben unterwegs und allein gestellt, zierlicher als Gleichaltrige - in einer Vollmondnacht. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends und innerhalb von drei Tagen nach dem Biss starben beide an den Folgen ihrer Verletzung. Fenrir selbst verweigerte die Aufsuchung eines Heilers. Der Tod der kleinen Geschwister sorgte für eine irreparable Beschädigung der Beziehung zwischen Fenrir und seiner älteren Schwester. Sie begann mehr und mehr zu sehen, was er war: ein Monster, das nur an sich dachte. Hati spielte fast täglich mit dem Gedanken, Livia zu packen und fortzulaufen, aber sie wusste, dass Fenrir sie finden und trotz ihrer Blutsverbindung töten würde. Im schlimmsten Fall würde dabei auch Livia sterben, die für Hati - vor allem in der Zeit der Trauer um die Geschwister - wie eine eigene Tochter geworden war. Es traf sogar das seltene Phänomen ein, dass Hati das Kind stillen konnte, obwohl sie selbst nicht schwanger war. Die Menge an Milch war zwar gering, das Stillen sorgte aber dafür, dass die Bindung der beiden nur noch stärker wurde. Fenrir, Hati und Livia wurden von Außenstehenden immer häufiger als Paar und Familie betrachtet und die Geschwister klärten die wahren Umstände nicht auf. In den darauffolgenden Jahren wurde Fenrir immer unruhiger. Er, der immer geträumt hatte, eine große Familie um sich zu haben und für sie ein liebevoller, schützender Vater zu sein - einer, den er selbst nie in dieser Form hatte haben dürfen - hatte nur Hati und Livia um sich. Der Werwolf trieb sich immer häufiger herum und ging in den Angriff über. Nicht primär um zu töten, sondern um Kinder zu sammeln, doch nicht jeder Biss ging gut aus und nicht jedes infizierte Kind fand den Weg zu ihm. Manchmal schienen sie wie vom Erdboden verschluckt und er fürchtete mit dem Schlimmsten: dass Familien oder das Ministerium selbst die infizierten Kinder tötete, um eine Ausbreitung zu verhindern. Fenrir wurde in diesen Jahren langsam aber stetig zum Gesprächsstoff und zur Sorge des Ministeriums, auch wenn damals noch niemand seinen Namen kannte oder wusste, wer er abseits des Vollmonds war. Es war nur bekannt, dass ein aggressiver, großer Werwolf immer häufiger Kinder verschleppte und verletzte; die Geburtsstunde von Schauergeschichten, in denen sich in den darauffolgenden Jahren auch der Name “Fenrir Greyback” einschlich. Im Jahr 1964 - Livia war mittlerweile ein Kind von neun Jahren - entschloss er sich, sie zu beißen. Gegen den Willen von Hati, die versuchte, ihn zu hindern, aber es nicht aufhalten konnte, dass er das Mädchen verschleppte. Hati war davon überzeugt, dass Livia das gleiche Schicksal ereilte wie die kleinen Geschwister. Sie ertrug den Gedanken nicht, einem weiteren geliebten Menschen beim Sterben zuzusehen. Und was dann? Sie konnte nicht alleine mit Fenrir bleiben, das wusste sie. Im Affekt beging sie in ihrer Verzweiflung in der Vollmondnacht Suizid. Doch Hati hatte die Kräfte von Livia unterschätzt: Das Mädchen überlebte und erholte sich gut von der Verletzung. Damit wuchs in Fenrir der Glaube, dass leibliche Kinder wohl durch seine Infizierung beim Zeitpunkt der Zeugung schon einen gewissen Vorteil haben. 1965 wurde Greyback nach Jahren des Herumwilderns, des Mordens und Infizierens erstmals vom Ministerium festgenommen und ins Gamot gezerrt. Es war das erste Mal, dass sein Name in einer Akte auftauchte und fortan würde er von Mund zu Mund wandern und Leute das Fürchten lehren. Doch an diesem Tag im Ministerium war es ihm möglich, die anwesenden Mitglieder in die Irre zu führen. Fenrir gab sich als Muggel aus und konnte sie täuschen. Nur einer blieb skeptisch: Lyall Lupin, der eine wahre Tirade gegen Werwölfe losließ … und in der Sekunde konnte Fenrir spüren, wie der Werwolf unter seiner Haut die Zähne fletschte und auf Rache sinnte. Greyback war es möglich, zu entkommen, bevor das Gamot den vermeintlichen Muggel mit Vergessenszauber zurückbringen konnte. Bereits beim nächsten Vollmond musste Lyall Lupin erkennen, dass es ein Fehler gewesen war, ein Monster wie Fenrir Greyback und andere Werwölfe so deutlich zu diffamieren: Greyback brach im Haus der Lupins ein und biss Lyalls einzigen Sohn - Remus Lupin. Nun hatte das Ministerium einen Namen zu dem gefürchtetsten Werwolf des Landes: Fenrir Greyback. In den darauffolgenden Jahren sammelte Greyback ein Rudel um sich; den zahlreichen Zeitungsberichten und der unerbittlichen Suche des Ministeriums verdankte er, dass er plötzlich zur Anlaufstelle der Werwölfe wurde und man ihm vertraute und bei ihm sein wollte. Jahr für Jahr wurde die Gruppe größer. Fremde Werwölfe schlossen sich an und auch jene, die Jahre zuvor von Fenrir gebissen worden waren, folgten dem stummen Ruf ihres Vaters, um mit ihm wiedervereint zu sein. Er nutzte sein Charisma, um auch Hexen, die nicht gebissen worden waren, ins Rudel zu holen, um mit ihnen Kinder zu zeugen oder ihnen andere Aufgaben zu geben, zum Beispiel die nicht-infizierten Kinder in Vollmond-Nächten zu umsorgen. Greyback nannte das Rudel bewusst Familie, um den Zusammenhalt zu stärken und predigte auch eine vermeintliche Gleichstellung der Familienmitglieder, auch wenn bei näherer Hinsicht deutlich ist, dass einige - unter anderem Greyback als Alpha - besondere Positionen einnehmen. Muggel, die das Rudel betrachten würden, würden es mit einer Art Sekte vergleichen, in deren Mitte sich Greyback befand. Ähnlich der Kommune, die der Mörder Charles Manson fast zeitgleich um sich herum geschaffen hatte. Die Verbindung zwischen Werwolf und Zauberer - zwei Seiten einer Medaille, zwei Seiten in einem Körper - wurde im Laufe der Jahre immer stärker. Greyback beugte sich seiner neu-erlangten Natur, statt dagegen anzukämpfen, was der Werwolf wohlwollend bemerkte. Es gab keine inneren Kämpfe der beiden Seiten, kein dagegen ankämpfen in den Vollmondnächten, sondern ein Miteinander, bei dem der Werwolf am Ende immer das letzte Wort bekommen würde. Dieser Einklang ist wohl auch der Grund, wieso der Werwolf hinhört, wenn der Mensch spricht. Nicht in der Vollmondnacht an sich, wenn die Zeit des Wolfes gekommen ist. Sondern in den Stunden vor der Verwandlung. In den Minuten und Sekunden, bevor der Schmerz in den Gedanken aufflammt und alles andere verdrängt. In diesen flüchtigen Momenten, in denen der Schleier zwischen den beiden hauchdünn erscheint, wiederholt Greyback immerzu den Namen seines ausgewählten Opfers wie ein Mantra, ruft sich das Bild klar und deutlich vor Augen - als würde er ein Foto an eine Pinnwand pinnen, bevor er den Raum verlässt und ihn dem Werwolf überlässt. Oneshot: the belly of the beast Klonk klonk klonk. Das Hämmern gegen die Fenster war so laut, dass es schwer war, einen klaren Gedanken zu fassen. Es gab nur kurze Pausen, in denen nach frischen Nägeln gegriffen wurde, um sie ins Holz zu treiben und obwohl das jetzt schon über eine Viertelstunde so ging, zuckte der alte Mann jedes Mal aufs Neue zusammen, wenn das Klonk klonk klonk nach jeder kurzen Pause erneut ertönte. Nicht nur er. Auch seine Frau, die ihm gegenüber am gedeckten Abendtisch saß, zitterte. Das tat sie nicht nur dann, sondern die ganze Zeit über. Während dem Klonk klonk klonk und den Pausen. Das Einzige, was sich unterschied, war, dass sie mal ihre Augen geschlossen hatte, mal sie öffnete und auf ihn richtete. Und er sah nur sie an, auch wenn an diesem heutigen Abend nichts von ihrer üblichen Schönheit zu erkennen war. Ihre verweinten, aufgequollenen Augen traten leicht hervor und kleine Äderchen waren in dem milchigen Weiß geplatzt, wie es immer passierte, wenn sie unter Stress stand. Ihre Lippen zitterten und bebten, aber sie sagte nichts. Sie starrte ihn nur an, zittern und verängstigt und die Hände flach auf die Tischplatte gelegt. Das Essen auf ihrem Teller - Kartoffelbrei und eine dicke Scheibe Blutwurst - war längst kalt geworden. Klonk klonk klonk. Die alte Frau kniff wieder die Augen zu und ein Winseln lag irgendwo tief in ihrer Kehle, fand aber nicht den Weg nach draußen. Sie zitterte und wimmerte und als sie die Augen nach ein paar Sekunden wieder öffnete, waren da noch mehr Tränen darin und ihm blieb nichts anderes übrig, als es zu ertragen. Das Licht im Raum veränderte sich. Verrutschte. Wurde spärlicher. Es lag nicht alleine daran, dass der Abend anrückte, sondern auch an dem Klonk klonk klonk. Die Bretter, die von außen gegen Fenster genagelt wurden, sperrten das schwächer werdende Tageslicht aus. Der alte Mann versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, um einen Blick auf das Fenster zu werfen, das rechts von ihm gerade mit langen Holzbrettern verschlossen wurde, aber es ging nicht. Die Muskeln in seinem Nacken waren wie erstarrt, sein Körper gehorchte nicht. Er sah den jungen Mann nicht, der vor einigen Minuten angefangen hatte, sie hier einzuschließen, Fenster für Fenster. Alles, was er sah, war der breite Streifen Licht, der sich über den gesamten Tisch zog. Staubpartikel schwirrten schwerelos durch die Luft und sahen aus wie kleine, sich bewegende Risse im hellen Strahl. Mit jedem Klonk klonk klonk wurde das Licht auf ihrem Tisch kleiner und kleiner, bis es komplett verschwunden war. “Robert Louis Stevenson.” Der alte Mann zuckte zusammen, soweit seine erstarrten Muskeln das zuließen. Er hatte sich so sehr auf die Bretter und den Jungen vor dem Fenster konzentriert, dass er den Mann im Inneren des Hauses vergessen hatte. Seine Frau wimmerte erneut und er sah ihr tief in die Augen, bevor er den Blick über ihre Schulter schweifen ließ und in den Schatten am anderen Ende des Raums die vage Bewegung ausmachte. Der hochgewachsene Mann mit den langen, dunklen Haaren und seinem braunen Pullover war fast gänzlich von der Dunkelheit verschluckt worden. Er trat mit einer seltsamen Ruhe aus ihr heraus und kam mit ein paar Büchern in den Händen zu ihnen zurück an den Esstisch. Klonk Klonk Klonk. “Meine Mutter war großer Fan von Stevenson”, sagte der fremde Mann und hob mit der rechten Hand eines der Bücher hoch, um seinen Fund zu präsentieren, indem er das Cover so drehte, dass der Alte es lesen konnte: Der Seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Der Fremde gab ein Geräusch von sich, halb Lachen halb Schnaufen. “Sie mochte alle schottischen Autoren. Aber wehe dem, der ihr ein Buch von einem Engländer in die Hand gedrückt hat. Dann konnte man froh sein, wenn sie nur gespuckt hat. Ich habe mal gesehen, wie sie einem Mann den Zeigefinger gebrochen hat, nur weil er Dickens vor ihr lobte.” Er verzog den Mund zu einem Lächeln und seine Zähne blitzten auf. Ein kalter Schauer lief über die Wirbelsäule des Alten und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er damit gerechnet, es sich nur eingebildet zu haben, aber als das Grinsen des Fremden überdauerte, sah er es klar und deutlich: mehrere seiner Zähne waren seltsam geschärft, sodass sie nicht mehr menschlich aussahen, sondern eher an die Klauen eines Wildtieres erinnerten. Eines Wolfes. Der Fremde schloss den Mund wieder und legte das Buch auf einem Stapel Bücher ab, der bereits auf dem Tisch thronte und mit den neuen Funden noch einmal deutlich herangewachsen war. Lexika waren darunter; Bücher, die sonst nur im Regal verstaubten, aber der Fremde hatte großes Interesse daran gezeigt und ein paar ausgewählte Buchstaben eingesammelt. Beim Buch mit dem goldenen Letter W auf dem Buchrücken hatte er sich sogar die Zeit genommen, es noch vor dem Regal aufzuschlagen, nach etwas zu suchen und es dann mit einem amüsierten Grinsen zu lesen. Geräuschvoll hatte er es zugeschlagen und ein “Allerliebst” gemurmelt. Klonk Klonk Klonk. Das Licht im Raum war nun fast vollständig weg. Der Fremde schien sich dessen auch bewusst zu sein. Er hob die Hand, machte eine wegwerfende, wedelnde Bewegung in der Luft und mit einem Mal sprangen die Lampen über ihren Köpfen an. Ohne Pause trat er wieder näher heran und hob noch ein Buch hoch, das er bis eben an die Brust gedrückt hatte. “Das hier werde ich auch mitnehmen”, sagte er, hob es hoch und drehte es so, dass der Alte es wieder sehen konnte. Ein Kinderbuch mit Reimen über Vögel und Waldtiere. “Für die Kinder”, sagte der Fremde und legte es auf den Stapel. Für die Kinder - das hatte er schon vorhin bei den Lexika gesagt, als er sie eingesammelt hatte. Für die Kinder. Damit sie lernen. Klonk Klonk Klonk. “Es wird sie sicherlich freuen, zu wissen, dass die Bücher in guten Händen sind. In weitaus besseren.” Er strich mit den Fingern über das Cover des obersten Buchs auf seinem Stapel und unter einer dünnen Staubschicht kamen die Farben greller und stärker zum Vorschein, als ob seine Fingerspitzen sie mit Pinselstrichen darauf gemalt hatten. Die alte Frau begann erneut hörbar zu wimmern und ihr Mann sah sie kurz an, ebenso wie der Fremde. Sie kniff die Augen zusammen, um jedem Blickkontakt auszuweichen; sie hätte das Gesicht abgewandt, wenn sie gekonnt hätte, aber es ging ihr genau wie ihrem Mann: ihr Körper gehorchte nicht. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als die Augen fest zusammenzudrücken, während das Schluchzen in ihrem Hals zu einem dicken, festen Kloß heranwuchs, der sie zu ersticken drohte. Der Fremde musterte sie stumm, dann klopfte er mit den Fingerknöcheln gegen den harten Einband von Dr. Jekyll und Mr. Hyde und ließ die Hand, locker zur Faust geballt, darauf ruhen. “Das kleine Mädchen, das die letzten Tage bei euch war - wo ist das heute?” Er fragte so unverfänglich, fast freundlich, als ob er sich nach dem Wetter erkundigte, aber da war etwas in seinem Blick, das dem Alten einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Stumm starrten sie einander an, bis der Fremde ein “Ah” verlauten ließ und eine Bewegung mit der Hand vollzog, als ob er eine Fliege vertrieb. Im nächsten Moment spürte der Alte ein Kribbeln in den Lippen - er konnte den Mund wieder öffnen. Wie ein Fisch an Land schnappte er erst nach Luft, bevor er seine Stimme fand. “Sie können das Geld haben”, sagte der Alte rasch und die Worte kratzten in seinem Hals, als ob er schon länger nicht mehr gesprochen hatte. “Es ist oben. Ich hol’s.” “Das war nicht meine Frage.” Der Alte schluckte. “Sie’s nicht da. War sie, ja, war sie. Jetzt nicht mehr.” Er schluckte wieder und sah kurz zu seiner Frau. “Kommt auch nicht mehr”, schob er mit Nachdruck hinterher, aber die Lüge war zu offensichtlich. “Ach.” Der Fremde lächelte, aber seine Augen blieben kalt. “Ich kann’s holen - das Geld. ‘s nicht viel, aber alles was wir haben. Sie können’s haben. Alles. Wir sagen’s auch niemandem, wenn Sie -” “Euer Geld interessiert mich nicht”, unterbrach ihn der Fremde und atmete zischend ein. Er schloss kurz die Augen und bewegte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Einen Moment geschah nichts, dann sagte er: “Es ist jetzt ohnehin zu spät.” Ein kratzendes Geräusch irgendwo rechts von sich ließ den Alten zur Seite blicken und zwischen den Spalten der verriegelten Fenster blickten zwei Augen ins Innere des dämmrigen Hauses. “Vater”, hauchte der junge Mann, der unmöglich das Kind des Fremden sein konnte, “es ist soweit.” “Ich weiß”, erwiderte dieser und drehte das Gesicht zum Fenster. Wieder lächelte er, aber dieses Mal erreichte es seine Augen und der Alte atmete erschrocken ein und hielt unbewusst den Atem an: Hatten seine Augen vorhin schon so … so anders ausgesehen? Ein Feuer schien in ihnen zu glühen. Eine grelle Flamme, die dem Alten vorhin noch nicht aufgefallen war, aber jetzt, wo er sie bemerkt hatte, konnte er das Gesicht nicht mehr abwenden. “Geht”, wies der Fremde den Jungen an. “Sucht die Umgebung ab. Ich schließe zu euch auf, wenn ich fertig bin.” Wenn ich fertig bin. Von draußen ertönten ferne Rufe: die Stimme des Jungen und dann ein Echo seiner Worte, aus den Mündern vieler. Der Alte riss seinen Blick doch noch einmal von dem Fremden weg und sah zum Fenster. Die Augen waren verschwunden, aber er konnte nichts von draußen sehen, nur dass es mittlerweile fast komplett dunkel geworden war. Als er schließlich den Kopf zur Seite drehte, bekam er noch vage mit, wie der Fremde erneut eine Bewegung mit der Hand machte und in der nächsten Sekunde schnellte der Kopf des Alten mit voller Wucht gegen den massiven Holztisch. Alles wurde für einen Moment pechschwarz. Schmerz explodierte in der Mitte seines Gesichts und Eisengeschmack breitete sich in seinem Mund aus. Jeder seiner Sinne schien sich so auf den pochenden Schmerz zu fokussieren, dass er erst - wie zeitversetzt - Sekunden später hörte, dass seine Frau nun schrie, richtig schrie. Der Fremde hatte ihr ihre Stimme ebenfalls zurückgegeben. Sei still, wollte der Alte sagen, sonst nimmt er sie wieder weg. Langsam hob er den Kopf, versuchte es zumindest. Sein Blick hing eine gefühlte Ewigkeit über dem zerbrochenen Teller nur wenige Zentimeter unter seinem Gesicht: die weißen Scherben waren von einem Film aus Blut und Speichel überzogen und die kleine Pfütze wurde immer größer, denn er konnte den Mund nicht schließen. Blut tropfte heraus. Dunkel und dick. “Ihr habt eine Tochter.” Die Stimme des Fremden kam immer näher. “Bitte nicht, bitte bitte nicht.” Die Frau des Alten. Sie weinte und flehte und wimmerte und für einen Moment fürchtete der Alte, man würde ihr etwas antun, weswegen er sich anstrengte, den Kopf zu heben. Als es ihm gelang, stellte er fest, dass der Fremde nun direkt neben ihm stand und der klagenden Frau keinen einzigen Blick schenkte. “Sie hat sich vor kurzem in sehr”, die Mundwinkel des Fremden zuckten in einem Grinsen, “sehr positiven, überschwänglichen Worten zu den neuen Werwolfgesetzen im Tagesprophet geäußert. Sie haben davon sicherlich einmal gehört”, sagte er. “Das ist die Zeitung, die in allen magischen Haushalten landet. Jeder liest sie. Jeder hat diese Begeisterung für ein Verbrechen gegen unsere Art gelesen und denkt nun, dass es akzeptabel ist, denn wenn es in der Zeitung steht, wird es wohl stimmen, nicht wahr? Es wird in Ordnung sein. Eine gute Sache." Mit jedem Wort war seine Stimme kalt wie Stahl geworden. Stahl, der Fleisch öffnete. Stahl, der Senen zertrennte. Der Fremde stellte ein Bild auf den Tisch und drehte es so, dass der Alte es sehen konnte. Es war ein Familienfoto, auf dem das alte Ehepaar auf einer Holzbank vor dem Haus saß. Aufgenommen im letzten Sommer. Die kleine Enkeltochter saß zwischen ihnen und präsentierte mit einem breiten Grinsen eine Zahnlücke oben in der Mitte. Hinter der Bank stand eine jüngere Frau im Sommerkleid und strahlte in die Kamera. Der Alte kannte das Bild und sah es nicht länger an, sondern blickte nun mit offenem Mund zu dem bärtigen Mann auf und mit einem Mal ergab alles einen Sinn - alles. Was er sagte. Wie er sich gab. Wieso er hier war. Werwolf. “Meine Kinder haben mir gesagt, dass sie sich hier mit ihrer Tochter verstecken soll, aber scheinbar kamen wir zu spät.” “‘s nimmer da”, nuschelte der Alte undeutlich und schnell und Blut tropfte von seinem Kinn. “Ahhlle weg.” “Sie sind gestern gegangen”, meldete sich nun seine Frau zu Wort. Das war nicht einmal gelogen. “Wir wissen nicht, wo sie hin sind - ich schwöre es, bei Morgana, es ist die Wahrheit!” Das schon. Der Fremde steckte die Spitze des Zeigefingers in das dickflüssige Blut auf dem zerbrochenen Teller und drückte es auf die Gesichter auf dem Bild. Zuerst ein roter Fingerabdruck auf dem Gesicht des Alten. “Bitte”, keuchte dieser und schluckte; ihm wurde schlecht, als das Blut seine Kehle hinablief. Ein roter Fingerabdruck landete auf dem Gesicht seiner Frau auf der Fotografie. Er verstand und flehte: “Meine Frau - lassen’s meine Frau gehen.” Der Fremde hielt kurz inne und schien ernsthaft über die Bitte nachzudenken. Und dann, fast heiter, sagte er plötzlich: “Okay.” Seine Hand bewegte sich in ihre Richtung und mit einem Mal kehrte Leben zurück in ihren Körper. Sie konnte aufspringen und das tat sie auf, trotz all der Schmerzen, die sie sonst bei jedem Schritt plagten. Sie stolperte über den umgefallenen Stuhl, kämpfte sich wieder hoch und zog sich an eine Wand des Zimmers zurück, wo sie zitternd und bebend stand und zu ihnen herüber blickte. Sie hätte weglaufen können. Wieso tat sie das nicht? Wieso blieb sie mit ihnen im Raum? Der Fremde tauchte die Fingerspitze erneut ins Blut und drückte sie ein letztes Mal auf das Bild. Als er die Hand zurückzog und sich vom Tisch wegdrehte, sah der Alte, dass der Kopf seiner Enkeltochter hinter einem blutigen Fleck verschwunden war. Er spürte eine Kälte, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben vernommen hatte. “Ich kann mit ihr reden”, sagte er rasch. “Sie kann’s rückgängig machen, ja, das kann sie, das kriegt sie hin. Sie schreibt’s neu.” Der Fremde stieß ein trockenes Lachen aus und - womit der Alte nicht rechnete - zog seinen Pullover über den Kopf und warf ihn auf den Tisch zu den Büchern. “‘You can’t unring a bell’ - das war es, was mein Vater immer sagte.” Der Fremde strich das lange Haar nach hinten. Das Lächeln verschwand von seinen Lippen und wieder dehnte er den Nacken mit kreisenden Bewegungen. Er zog sich die Schuhe aus. Alles davon geschah mit einer gespenstischen Ruhe. Der Alte hörte nicht zu. Mit geweiteten Augen starrte er auf den nackten Oberkörper des Fremden. Die helle Haut war von tiefen, langen Narben überzogen, die offensichtlich schon alt waren, aber noch immer einen seltsam rosigen Glanz besaßen. Schmerzhaft sahen sie aus - alle davon. Die größte und schlimmste Narbe fand sich auf der linken Schulter und zog sich bis zum Oberarm, der grausam zugerichtet aussah. Unförmig gar. Als ob ein Kind mit ungeschickten Fingern versucht hatte, den Oberarm aus Knetmasse zu formen und dabei Brocken mit den Nägeln herausgekratzt hatte. Der Alte hob die Hand an den Mund, um einen Laut des Entsetzens darin einzusperren, als ihm bewusst wurde, dass er sich wieder bewegen konnte. Erst zuckte er mit einem Bein, dann mit dem anderen und suchte festen Halt unter den Füßen. Schnell schob er den Stuhl zurück, drückte sich auf der anderen Seite am Tisch vorbei und stürmte zu seiner Frau, die mittlerweile zusammengesunken in der Hocke saß. Ihre Augen waren ebenfalls auf die schrecklichen Narben gerichtet; sie reagierte nicht, als ihr Mann sie berührte, nicht einmal dann, als er sie wieder auf die Füße ziehen wollte. “Es ist gleich vorbei”, sagte der Fremde und zog die Hose aus. Das letzte bisschen Stoff verschwand und nun stand er nackt in ihrem Wohnraum, keine Spur von Scham im Leib. Er schien nicht einmal die Kälte zu spüren, die hier herrschte. Als er die Hose aufhob und gemeinsam mit den Schuhen auf den Tisch neben die Bücher stellte, nutzte der Alte die Chance: Er zerrte seine Frau auf die Beine, klemmte einen Arm um ihren Oberkörper und rannte mit ihr aus dem Raum. Ohne sich umzusehen, eilte er zur Haustür und als er sie aufriss, war der Weg nach draußen von Brettern versperrt. Das hatte der Junge getan. Nicht nur die Fenster, sondern auch die Tür. Warum? Schief und verrutscht angebracht waren sie - die Bretter. Genau so, dass genug Löcher vorhanden waren, um die Freiheit zu sehen und das Gefühl zu haben, eine Chance zu haben: frei zu kommen, fliehen zu können. Der Alte drückte und zerrte gegen die Bretter, aber sie bewegten sich nicht. Er krallte die Fingernägel so fest hinein, dass sie abbrachen, doch er spürte den Schmerz nicht einmal. Ein grässliches Geräusch drang aus dem Wohnraum: Ein schmatzendes, feuchtes Würgen und Grollen, dann der dumpfe Laut eines Körpers, der zu Boden ging. Ein kehliges Stöhnen, das dem Fremden gehören musste und immer lauter wurde; es klang, als ob er starb und sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Als die Komode mit dem Geschirr klirrte und Möbel über die Dielen gedrückt und geschoben wurden, wurden die verzweifelten Bewegungen des alten Mannes schneller. Er warf sich mit der Schulter gegen die Bretter und hörte Holz knacken, aber selbst wenn eines der Bretter brach, war direkt dahinter ein zweites, das den Schaden abfing. Der Alte keuchte und versuchte es erneut, während ihm warmes Blut über Lippen und Kinn lief. Er setzte die Beine ein und trat zu und … eine der unteren Dielen war brüchig genug, um nachzugeben! “Schnell!”, rief er. Er wies seine Frau an, zu helfen, aber sie war wieder in sich zusammengesunken, die Arme fest um den eigenen Körper geschlungen und starrte mit tellergroßen Augen in die Richtung, in die der Wohnraum kam und immer mehr, immer lautere Geräusche drangen … bis sie irgendwann verstummten. Der Alte jedoch machte weiter. Er trat jetzt gegen die unteren Bretter, eines nach dem anderen, bis ein Loch entstand, das groß genug war, dass man hinauskrabbeln konnte. Es würde reichen, es musste reichen. Er ließ sich auf die Knie fallen, bückte sich und machte sich klein. “Komm schon - KOMM!”, herrschte er seine Frau an, die sich noch immer nicht bewegte. Sie war in ihrer Angst vollkommen erstarrt. Eine Statue nackter Panik, die keinen Laut von sich gab und nur mit großen Augen ins Nichts blickte. Er spähte in die Dunkelheit hinaus, die sich wie eine schwarze Leinwand um das Haus gespannt hatte … und dann sah er die leuchtenden, goldenen Augen in der Finsternis. Die gleichen Flammen, die er zuvor im Gesicht des Fremden gesehen hatte. Instinktiv zuckte er zurück, zurück ins Haus, wo er sicher war, bis ihn die Erinnerung einholte: er war hier nicht sicher. Obwohl sein Herz so laut in seiner Brust schlug und das Blut in seinen Ohren rauschte, hörte er das Knurren aus dem Wohnraum. Hörte, wie es näher kam, ebenso wie das Geräusch von schweren Tatzen auf dem alten Dielenboden, die unter dem Gewicht ächzten. Pat Pat Pat Pat, wie langsames, unheilverkündendes Trommeln. Als er langsam den Kopf drehte und einen Blick über die Schulter warf, sah er zuerst die gefletschten Zähne und den zähen, dickflüssigen Speichel, der über die Lefzen des Wolfes tropfte. Das gewaltige Tier schob sich in den Flur und schien darin noch mehr zu wachsen, vor ihren Augen größer und massiver zu werden, bis jedes Licht vollständig verschluckt wurde. Dann sah der Alte die leuchtenden, goldenen Augen, die auf ihn gerichtet waren und er konnte nicht anders, als zurückzublicken. Gebannt von der Magie des flüssigen Goldes, das vor ihm in der Dunkelheit schimmerte und ihr Glanz schien zuzunehmen, größer und größer zu werden, wie ein Vollmond, der sich dicht vor seinem Gesicht ausdehnte und als er es begriff, als er erkannte, was das bedeutete, war es bereits zu spät. |