Make Me Run
Galatea Travers - Druckversion

+- Make Me Run (https://makemerun.de)
+-- Forum: Auftakt (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=1)
+--- Forum: Verzeichnis (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=7)
+---- Forum: Steckbriefe (https://makemerun.de/forumdisplay.php?fid=48)
+---- Thema: Galatea Travers (/showthread.php?tid=2450)



Galatea Travers - Galatea Travers - 19.01.2025

I'll be dreaming my dreams with you
Sommer 1950



Der warme Sommerwind strich über ihre nackten Beine, die eine Spur zu blass unter dem Rock der Schuluniform herausragten. Einen Moment lang schämte sie sich dafür. Ob er dachte, sie wäre kränklich und nicht gesund genug, um ihm Kinder gebären zu können? Sie strich sich mit der Hand über die Bluse, um eine Falte darin zu verjagen und wurde dabei daran erinnert, dass sie keinerlei weibliche Reize hatte. Das würde noch kommen, hatte ihr ihre Mutter versichert. Aber das sagte sich so leicht! Sie hatte die Mädchen gesehen, die Prometheus auf Schritt und Tritt verfolgten und mit denen er lachte und sprach. Sie waren groß und kurvig und wunderschön weiblich. Unmöglich, dass sie da mithalten konnte. Das sah er doch auch! Ob er sie hässlich fand?

Galatea wagte einen schüchternen Blick zur Seite, was Prometheus glücklicherweise nicht bemerkte. Er war noch immer in seine Erzählung vertieft und berichtete ihr von einem besonders seltenen Tierwesen, das sein Großvater erlegt hatte. Noch hätte er es nicht mit eigenen Augen zu Gesicht bekommen, aber er würde es sich in den nächsten Ferien definitiv ansehen und konnte es kaum erwarten. Mit wie viel Inbrunst er das sagte und wie seine Augen dabei leuchteten. Galatea lächelte verhalten und blickte dann wieder auf ihre Beine. So ganz konnte sie die Begeisterung für ein paar ausgestopfte Tiere nicht verstehen, aber es war auch nicht ihre Arbeit, ihren Mann zu verstehen - sie musste ihn nur glücklich machen, das hatte ihr ihre Mutter wieder und wieder eingebläut.

Mann.Galatea zog die Unterlippe zwischen die Zähne und saugte leise daran; sie fürchtete, dass sie es sonst laut aussprechen und ihn in seiner Erzählung unterbrechen würde: Mann.
Prometheus war das schon jetzt, zumindest in ihren Augen. Er war groß und kräftig und konnte problemlos als junger Lehrer durchgehen, während sie neben ihm noch zu sehr wie ein Kind wirkte. Vor allem mit diesen dünnen Beinchen da, die im Sonnenweiß milchweiß aussahen - genau wie ihr Name. Fast konnte man meinen, dass ihre Mutter ihr mit dem Namen einen Fluch auferlegt hatte, der ihre Haut daran hinderte, einen gesunden Farbton anzunehmen. Prometheus hatte einen gesunden Farbton, wie sie bei einem weiteren schüchternen Blick zur Seite feststellte - nicht, dass sie das bereits wusste, aber es konnte nicht schaden, sich zu vergewissern, dass sich nichts daran geändert hatte.

Galateas Blick haftete einen Moment zu lange auf seinem Profil. Wie unfassbar schön er war; ihr Herz schlug wie ein eingesperrtes Täubchen in ihrer Brust. Ihr Mund öffnete sich leicht, dabei wollte sie nicht einmal etwas sagen. Die Unterlippe flutschte dabei mit einem leicht schmatzenden Geräusch zwischen ihren Zähnen hervor. Es war nicht laut gewesen, aber laut genug, dass Prometheus kurz inne hielt und das Gesicht zu ihr drehte. Galatea starrte rasch und mich hochrotem Kopf nach vorne, um seinem Blick zu entgehen. Wie unglaublich peinlich das war … und jetzt sagte er noch nicht einmal etwas.

“Ich würde das auch gerne sehen”, sagte sie in Stille, einen Ticken zu laut und energisch. “Eines Tages. Wenn wir verheiratet sind.” Wenn du mein Mann bist und ich deine Frau, fügte sie im Stillen hinzu. Galatea wagte erneut einen Blick zur Seite und als sie seine Augen sah, ihr zugewandt und leuchtend schön in der Sonne, spürte sie das wilde Durcheinander in ihrem Magen. Sie war verliebt - das war es doch, nicht wahr? Sie war verliebt und sie würde glücklich werden, weil Prometheus sie glücklich machen würde. Alles würde genau so kommen, wie sie es sich immer ausgemalt hatte.


I'm watching flames get higher and I can't move on
Frühling 1953


Ihre Augen brannten, die Kehle war wie zugeschnürt. Aufgescheucht schob sie sich auf dem Boden ein Stück weit zurück. Ihre Schuhspitze traf etwas Hartes und sie erschrak. Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie versuchte zu atmen, aber der Rauch schien sich regelrecht in ihren Lungen festgesetzt zu haben. Ihr Puls raste, dabei war es doch vorbei. Es war vorbei.

Sie blinzelte gegen das Brennen in ihren Augen an, während die Welt um sie herum langsam wieder an Schärfe gewann. Sie strich sich mit dem zitternden Handrücken rasch durchs Gesicht und beseitigte die Tränen, die mehr durch den Rauch als durch nackte Angst entstanden waren. Doch Angst hatte sie empfunden. Man hatte ihr versprochen, dass es einfach werden würde. Dass sie sich nicht sorgen müsste. Prometheus hatte sie sogar an der Hand genommen, kurz von seiner Familie weggezogen und ihr leise zugeraunt, dass sie es schaffen würde. Was sich wie ein liebevoller Zuspruch angefühlt hatte, hätte ebenso gut eine Ermahnung sein können: Dass sie es schaffen müsste.

Ohne die bestandene Prüfung würde sie trotz Hochzeit nicht überdauern, davon waren die Travers überzeugt und das hatte man ihr genau so auch mitgeteilt. Anfangs hatte sie es für einen Witz gehalten. Vor wenigen Momenten hatte die offizielle Zeremonie stattgefunden, sie war offiziell eine Mrs. Travers und nun sagte man ihr, dass sie das noch nicht war? Nicht richtig zumindest. Nicht so, dass sie sich den Respekt in der Familie verdient hatte. Galatea hatte es für einen Scherz gehalten, aber niemand hatte gelacht. Also hatte sie schwer geschluckt, die Lippen aufeinandergedrückt und gehorsam zugehört.

Die Dinge, von denen ihr Prometheus im Vorfeld schon berichtet hatte. Von alten Riten und Traditionen, die von Generation zu Generation weitergetragen wurden. Sie hatte ihm zugehört - das hatte sie wirklich! Aber nie im Leben hatte sie gedacht, dass die Familie wirklich darauf pochte. Galatea war doch ein Mädchen, gerade einmal sechzehn Jahre alt und hatte damit gerechnet, nach der Zeremonie zu feiern, sich an Giggelwasser und Wein und Glückwünschen zu betrinken … und nun das. Zu gerne hätte sie gefragt, ob man keine Ausnahme bei ihr machen konnte, immerhin war sie doch bereits offiziell ein Mitglied der Familie Travers, doch ein Blick in die Gesichter, die ihr zugewandt waren, hatte ausgereicht, dass sie genickt hatte. Sie stimmte zu. All die Wörter des Zweifelns hatte sie tief in sich eingeschlossen und im Laufe der Jahre sollten dort noch viele weitere abgeladen werden.

Ihr Blick fiel nach unten. Das eigentlich bodenlange Kleid war Geschichte: Der Stoff hatte erschreckend schnell Feuer gefangen und die Flammen hatten sich vorne bis zu ihren Knien hochgefressen, in Sekundenschnelle, bevor sie sie hatte ersticken können. Sie sah ihre Beine jetzt, freigelegt vom Feuer. Noch immer so blass wie die ihres früheren Ichs, das noch auf Sommerwiesen von einer Zukunft mit Prometheus fantasiert hatte, nur dass sie jetzt von Ruß überzogen waren. Eine Stelle am Knie war gerötet und brannte bei der kleinsten Bewegung, aber … es war geschafft. Die Spritzer von Blut auf ihrem weißen Kleid bemerkte sie gar nicht; es war nicht das ihre. Ihr Blick wanderte weiter nach unten und da sah sie sie: die reglose, tote Feuerkrabbe, deren Juwelen funkelten.
Ein Geräusch ertönte, so plötzlich, dass Galatea zusammenzuckte. Dann noch einmal und weitere Hände stimmten mit ein. Ein Klatschen, dessen Laut von den hohen Mauern der Arena zurückgeworfen wurde und als sie den Kopf in den Nacken legte, sah sie ihre neue Familie auf sie herabblicken.

Sie hatte es geschafft.


I would have died, I would have loved you all my life
Herbst 1959


Blut. Blut auf ihren weißen Beinen. Erst war es nur ein dünnes Rinnsal, da sich von der Innenseite ihres Oberschenkels einen Weg nach unten gebahnt hatte. Dann war es breiter geworden. Mehr.

Persephone weinte, kreischte regelrecht. Selbst durch die dicke Tür hindurch konnte sie es klar und deutlich hören und etwas in ihr regte sich und verlangte, dass sie aufstand, dass sie sich zusammenriss und für ihre Tochter da war. Aber sie konnte nicht. Blut auf ihren Beinen. Blut in ihrem Schoß.

Galatea spürte, wie die Kraft sie verließ und sie auf den Boden des Badezimmers zusammensackte. Ihre blutverschmierte Hand legte sich auf die kleine Wölbung ihres Bauches. Fingerspitzen glitten zitternd darüber, als suchte sie nach einem Zeichen, dass das alles nur ein böser Traum war und das Kind unter ihrem Herzen unversehrt war, noch tief versunken in seinem Schlaf, Monate davon entfernt, aufzuwachen und unter ihrem wachsamen Blick die Augen das erste Mal zu öffnen. Es durfte nicht sein, nicht schon wieder …

”Herrin”, quiekte schräg hinter ihr eine Stimme.
“Verschwinde”, fauchte sie den Hauselfen an, ehe ein weiterer schmerzhafter Krampf sich durch ihren Bauch zog und sie wimmernd nach vorne sackte, die Hände auf den weißen Fliesen wie Krallen verspannt.
”Herrin, soll ich den Herrn über Eure Situation unterrichten?”
Eine Sekunde dachte sie darüber nach. Während ihre Tränen, verborgen hinter dem Vorhang ihrer langen, blonden Haare, unter ihr auf den Boden tropften, malte sie es sich tatsächlich aus, wie der Hauself aufbrach und Prometheus im Ministerium aufsuchte. Wie er ihm berichtete, was passiert war und wie schnell sich ihr Mann auf den Weg nach Hause machen würde. Sie stellte sich vor, wie Prometheus sie in den Arm nehmen würde, wie er sie leicht hin und her wiegen und sie streicheln würde, während er leise Worte in ihr Haar flüstern würde. Es war ein schönes Bild, aber es war nur ein Traum.
Galatea befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze und presste hervor: “Nein.”

Zu Persephones Geschrei gesellte sich mittlerweile das ungeduldige Hämmern von Asterion, der mit seiner kleinen Faust gegen die Tür schlug und hinein wollte, “Mamamamamamama” rufend. Galatea spürte, wie ihr schlecht vor Schmerz wurde. Sie schloss die Augen und atmete langsam aus. “Kümmere dich um die Kinder”, wies sie den Hauself an und schien zu schrumpfen und immer mehr in sich zusammenzufallen. Sie konnte das Zögern des Elfen spüren: im ganzen Haus war es bekannt, dass sie verboten hatte, dass die Hauselfen die Kinder berühren durfte. Sie hatte damit gedroht, dass Prometheus sie zerlegen und den Werwölfen zum Fraß vorwerfen würde, wenn sich auch nur einer ihrem Befehl widersetzen würde.
“In Merlins Namen, tu es”, schluchzte sie und schlang die Arme um sich selbst. “Verschwinde. Hau ab. Kümmere dich um sie. Lass mich alleine.”

Prometheus würde nicht kommen. Er würde sie nicht trösten. Irgendwann heute nach dem Abendessen, wenn er von einem langen Tag im Ministerium zurückkommen würde und die Kinder im Bett waren, würde sie es ihm sagen. Dann, wenn alles Blut im Badezimmer beseitigt war und das ruinierte Kleid und die Unterwäsche verbrannt, weil sie nichts davon je wieder ansehen könnte. Sie würde weinen und sich entschuldigen, als ob es ihr Fehler gewesen war. Und er würde sie ansehen, nichts sagen und damit gleichzeitig alles sagen: sie hatte versagt. Galatea hatte ihm einen weiteren Jungen versprochen, den sie in aller Heimlichkeit Regulus getauft hatte - und damit hatte sie das Ungeborene verflucht. Jedes Mal aufs Neue, wenn sie nackt im Bett gelegen, den Zeigefinger über die Wölbung gestrichen und seinen Namen geflüstert hatte: Regulus Regulus Regulus. Prometheus hatte ihr so oft gesagt, dass es Unglück bringe, einem Ungeborenen einen Namen zu geben und sie wusste es, bei jeder einzelnen Schwangerschaft hatte sie es unterlassen, um dem Baby nicht zu schaden - nur dieses eine Mal nicht und sie wusste nicht einmal, wieso. Eines Morgens war sie aufgewacht und der Name war da gewesen.

Vor wenigen Tagen war der Tod in ihre Familie gekommen und er hatte ihren Vater geholt. Regulus. Nun war er zurückgekehrt, um das kleine Wesen zu holen, das seinen Namen ebenfalls getragen hatte, als wären sie durch ihn untrennbar verbunden gewesen und Galatea war es gewesen, die dieses Band geknüpft hatte. Ein Unglück, das sie mit ihren Worten heraufbeschworen hatte.

Regulus Regulus Regulus …
… bitte verzeih mir.